Penzogrot Pasilienherb hat eine sehr unruhige Nacht und es ist dieser Umstand, den er nur unbewusst wahrnimmt, denn er ist nicht ganz wach, alldieweil er auch nicht tief schläft. Ohne es zu wissen, ist er in einer Zwischenwelt gefangen, sodass er die Vorbereitungen der Baumaßnahme in seinem Schlafzimmer zunächst nicht mitbekommt. Zunächst, denn als der Bagger neben seinem Bett die Arbeit aufnimmt, vermag es der dabei entstehende Lärm, Herrn Pasilienherb aus seiner Zwischenweltgefangenschaft zu befreien – wenn auch sehr unsanft.
„Großer Gott! Was ist hier los?! Fräulein Sandfuß?! Was geht hier vor sich?!“, ruft er in denkbar großer Aufregung.
Das Fräulein Sandfuß, Herrn Pasilienherbs Haushälterin, kommt herein und klärt auf: „Guten Morgen, Herr Pasilienherb. Das sind die Bauarbeiten zur neuen Straße. Die Herren vom Straßenamt erwarten Sie im Salon.“
Penzogrot Pasilienherb schält sich aus seinem Bett, das nun unter dem Lärm des Drucklufthammers vibriert. Ein Mann mit Helm steht am Ende seines Bettes und bricht den Boden Herrn Pasilienherbs Schlafzimmer auf.
„Was tun Sie denn da?! Passen Sie mit Ihrem Presslufthammer auf! Sie ruinieren mir ja den ganzen Boden!“, ruft er empört. Der Mann am Drucklufthammer gibt zurück: „Sie müssen lauter sprechen, ich höre Sie nicht. Ich arbeite hier mit einem Drucklufthammer und breche den Boden auf!“
Herr Pasilienherb winkt ab, duckt sich, als die Schaufel des Baggers ihm entgegenschwingt und hastet zur Tür, wobei er dem LKW gerade noch so ausweichen kann.
„Yamoussoukro!“, flucht er und geht mit Fräulein Sandfuß in den Salon. Dort sitzen zwei Herren, die ihn höflich im Chor, aber sehr laut begrüßen: „Herr Pasilienherb, wie schön, dass Sie es einrichten können.“
„Ich brühe Ihnen schnell einen Tee auf“, sagt das Fräulein Sandfuß, während Herr Pasilienherb sich verdutzt zu den Herren an den Tisch setzt.
„Sehen Sie uns nach, dass wir Sie anschreien“, sagen beide Herren wieder im Chor, „Aber wegen des Baulärms ist nur so eine angemessene und zielführende Verständigung möglich.“
„Verständigung?!“, ruft Herr Pasilienherb, „Ich verstehe rein gar nichts! Ein Bagger in meinem Schlafzimmer hat mich aus dem Schlaf gerissen, ein Mann bricht mit einem Drucklufthammer-“ Jäh wird Herr Pasilienherb von einem Flugzeug unterbrochen, dass über den Tisch fliegt.
„Machen Sie sich keine Sorgen wegen des Flugzeuges!“, rufen die beiden Herren ihm zu, „Wenn der neue Flughafen in Ihrem Korridor fertiggestellt ist, gilt selbstverständlich absolutes Nachtflugverbot!“
„Flughafen?!“
„Ganz genau. Sie sehen, wir tragen dafür Sorge, dass Sie optimal an die Verkehrsinfrastruktur angebunden sein werden, Herr Pasilienherb. Wir waren so frei, mit den Arbeiten unverzüglich zu beginnen, damit am Nachmittag der Verkehr fließen kann.“
„Auch nachts?“, fragt Herr Pasilienherb besorgt um seinen Schlaf, „Sie müssen wissen, ich schlafe schlecht bei Verkehrslärm neben dem Bett.“
„Aber Herr Pasilienherb“, beide im Chor, „mein lieber Herr Pasilienherb. Glauben Sie, wir stellen uns quer, wenn es um den Lärmschutz geht? Rund um Ihr Bett werden in diesem Moment Lärmschutzwände errichtet. Sie erreichen Ihr Bett bequem per Unterführung. Oder Sie nehmen den Zeppelin-Shuttleservice. Jeden Abend und Morgen, jeweils um acht Uhr.“
Wie aufs Stichwort tritt Ferdinand Graf von Zeppelin ein: „Und ich fahre sie höchstpersönlich! Sie werden einen herausragenden Ausblick auf Ihr Schlafgemach haben. Wir fahren allerdings nicht bei Sturm oder Gewitter. Da könnten Sie dann ja die Eisenbahn nehmen.“
„Das ist ja alles sehr freundlich und rücksichtsvoll“, murmelt Herr Pasilienherb, während das Fräulein Sandfuß den Tee serviert.
„Ein ausgezeichnetes Gebräu!“, sagt der Graf anerkennend, „Darf ich annehmen, dass es sich um frischen Tee von der Plantage im Gesellschaftszimmer handelt?“
Penzogrot Pasilienherb staunt nicht schlecht, zumal er bis gerade nicht wusste, dass er eine Teeplantage in seinem Gesellschaftszimmer betreibt. Er will gerade seine mit Tee gefüllte Tasse ansetzen, da klettern aus dieser zwei Teebauern heraus, die sichtlich empört protestieren: „Können Sie nicht achtgeben, wenn Sie trinken?“, sagt der eine und der andere schimpft: „Da kultiviert und erntet man Tag für Tag Tee, um am Ende achtlos getrunken zu werden. Wir sind das Rückgrat der Teeindustrie und erbitten uns Respekt!“
Peinlich berührt stellt Herr Pasilienherb seine mit Tee und Teebauern gefüllte Tasse zurück, sodass diese unbeschadet herausklettern können.
„Herr Pasilienherb!“, sagt süffisant Ferdinand Graf von Zeppelin, „Wir wollen doch weiterhin diesen köstlichen Tee genießen können!“
Auch das Fräulein Sandfuß ist einigermaßen indigniert: „Sie hätten fast meinen Mann getrunken!“
„Sie sind verheiratet? Das haben Sie mir nie erzählt!“, sagt bass erstaunt Herr Pasilienherb.
„Ja, glauben Sie, ich schufte den ganzen Tag nur bei Ihnen? Ich schufte auch zuhause, damit es meinem Mann gut ergeht, wenn er abends von der Plantage heimkommt.“
Plötzlich rauscht es. Sehr laut. Es klingt nach Wasser. Dann klingelt der Fernsprecher. Frau Sandfuß, die gar kein Fräulein sein kann, geht zum Apparat, nimmt das Gespräch an. Wegen des Lärms versteht Herr Pasilienherb nicht, was sie sagt. Ratlos blickt er in seine mit Tee gefüllte Tasse, was sich als hilfreicher Umstand erweist, da dort in diesem Moment die hiesige Schaustellertruppe das Stück „Frau Sandfuß telefoniert im Salon des Penzogrot Pasilienherbs mit dem Amt für Schifffahrtsangelegenheiten“ aufführt. Die Darstellerin der Frau Sandfuß ist klar zu verstehen, selbst die Stimme ihres Gesprächspartners am anderen Ende des Fernsprechapparates ist problemlos vernehmbar: „Guten Morgen, spreche ich mit Herrn Penzogrot Pasilienherb?“
„Nein, hier spricht Frau Sandfuß. Darf ich Herrn Pasilienherb etwas ausrichten?“
„Wenn ich Sie darum bitten dürfte und es Ihnen keine Umstände macht, wäre das äußerst hilfreich. Mein Name ist Fontane vom Amt für Schifffahrtsangelegenheiten. Wir fluten in diesem Moment den Salon des Penzogrot Pasilienherbs, damit wir zeitnah den neuen Hafen in Betrieb nehmen können. Wir empfehlen Ihnen dringend, dass Sie sich in das obere Drittel des Raumes zurückziehen.“
„Ich werde es ausrichten“, sagt die Mime, die gekonnt Frau Sandfuß darstellt. Das Theaterpublikum in der Teetasse applaudiert, ja, es ist sogar derart begeistert, dass es sich von den Stühlern erhebt und „Bravo!“ ruft, „Zugabe!“ In den hinteren Rängen geht die Begeisterung in tumultartige Szenen über, und auch Herr Pasilienherb ist ob der großartigen schauspielerischen Leistungen in seiner Teetassse ganz außer sich.
„Ich habe selten etwas so Brillantem beiwohnen dürfen!“, ruft er und klatscht. Frau Sandfuß hat derweil das Telefon beendet und informiert die Herrschaften: „Wir wurden vom Amt für Schifffahrtsangelegenheiten gebeten – nein, es war mehr eine dringende Empfehlung -, uns ins obere Drittel des Salons zurückzuziehen. Das Wasser käme.“
Ferdinand Graf von Zeppelin landet seinen Zeppelin sicher auf dem Tisch, sodass die Herrschaften einsteigen können. In dem Luftschiff wartet bereits Mrs. Portable aus London: „Da sind Sie ja, welch Freude. Mein Name ist Portable, ich komme vom Amt für Im- und Export. Wir interessieren uns für die Einfuhr von Tee.“
Das Luftschiff hebt gerade rechtzeitig ab, als das Wasser kommt. Aus sicherer Höhe beobachtet Herr Pasilienherb die große Einweihungszeremonie des neuen Binnenhafens in seinem Salon. Etwas weiter westlich den Korridor hinunter beobachtet er einen Stau auf der neuen Umgehungsstraße in seinem Schlafzimmer. Ein Verkehrshubschrauber bewegt sich nun auf Höhe des Luftschiffes und ein Mann ruft Herrn Pasilienherb aus dem Helikopter zu: „Riesen Stau! Sie erneuern die Fahrbahndecke! Die Straße war nicht für Panzer ausgelegt.“
„Panzer?!“, ruft Herr Pasilienherb.
„Ja, wegen des internationalen Makakentums“, antwortet der Mann im Hubschrauber, der nun davonfliegt.
Herr Pasilienherb bitten den Grafen, das Radio einzuschalten: „Es liege offenbar internationales Makakentum vor“, sagt er und aus dem Radio klettert ein Reporter, der die staunende Luftschiffbesatzung aufklärt:
„Durch den Export von Tee fielen die Teepreise auf den Auslandsmärkten in nautische Tiefen. Die dortigen Teeplantagen gerieten in Schieflage, sodass die ausländischen Teebauern den Aufstand probten und die Regierung stürzten. Die Revolutionäre haben jetzt unser Land angegriffen und brennen unsere Plantagen nieder! Jetzt haben wir unsere Panzer geschickt.“
„Die Plantagen in meinem Gesellschaftszimmer brennen?!“, fragt ungläubig Herr Pasilienherb.
Graf Ferdinand von Zeppelin ändert umgehend den Kurs der Hindenburg: „Auf nach Lakehurst“, ruft er. Und pflichtbewusst pflichtet der Kriegsreporter bei: „Eine ausgezeichnete Idee! Das wird die Reportage meines Lebens. Ich erwarte Sie alle auf dem Flugplatz von Lakehurst!“

Dieser Text ist Teil der Vollständigen Edition. Weitere Texte von Seppo auf www.seppo.blog.
