Ehrung: Die Vollständige Edition mit Potho-von-Pothenstein-Literaturpreis ausgezeichnet

Am 31. August 2025 durfte ich im Rathaus des Westfälischen Friedens in Münster den renommierten Potho-von-Pothenstein-Literaturpreis entgegennehmen. Hier erzähle ich, wie ich zu dieser großen Ehre gekommen bin.
Gleichzeitig möchte ich das verbinden mit einem Dank an Sie, verehrte Leser, vor allem den harten Kern, der seit nunmehr zehn Jahren meine Texte liest.


Im Mai dieses Jahres erhielt ich mehrere Telefonanrufe derselben Nummer, die ich allesamt nicht annahm. Dass man beispielsweise keine Anrufe mit Pseudo- oder auch echten Ländervorwahlen (0042, der Klassiker) annimmt, ist inzwischen bei jedem angekommen, doch nehme ich ganz grundsätzlich und entschieden keinerlei Telefonanrufe entgegen: Nur im äußersten Notfall nutze ich mein Mobiltelefon zum Telefonieren, wobei ich entscheide, mit wem wann ein Telefon unter meiner Beteiligung stattfindet. Dass jene Anrufe die Münsteraner Vorwahl hatten, war für mich somit nicht von Belang und kein Kriterium für irgendetwas.

Mir entgingen auf diese Weise sensationelle 128 Anrufe derselben Nummer – innerhalb nur einer Woche. Daher wurde meine Frau neugierig und erkundigte sich bei mir, wie es denn um meine Neugierde bestellt sei.

„Was solche Anrufe angeht, bin ich absolut altgierig. Es lohnt nicht. Früher hätte ich aus Neugierde zurückgerufen – nur um festzustellen, dass es sich um belanglose Belange handelt. Wenn es wichtig ist, wird man mir schon einen Brief schreiben“, erklärte ich ihr.

„Und wenn ich mal drangehe?“, fragte sie.

„Hm … Nur, wenn du dich mit ‚Sekretariat Sebastian Flotho‘ vorstellst“, schlug ich vor und meine Frau willigte ein. Es dauerte etwa einen viertel Tag, bis die Nummer abermals anrief und meine Frau gemäß Bewilligung ihres Antrages die Gesprächsanbahnung zuließ.

„Sekretariat Sebastian Flotho? … Ja … Orth? … Stephan? … Nein … Was? Ich verstehe Sie schlecht … Genau, das ist er … Ja, er ist viel beschäftigt … Schreibt viel … Was? Wirklich? … Nun … Wie sehen die nächsten Schritte aus? … E-Mail-Adresse hat er … Ja, das ist flotho@*******.de.“

Nun wurde ich neugierig. Ob da ein Amt irgendwas von mir wollte? Ging’s um die Samenbank-Sache? Mir wurde heiß und kalt gleichzeitig, Spermastolz hin oder her. Wie leichtfertig sie meine Mailadresse rausgibt! Als echte Sekretärin müsste ich sie jetzt vor die Tür setzen.

Endlich klärte meine Frau mich auf: „Das ist jetzt unerwartet, aber du hast einen Preis gewonnen.“

Ah, okay, Fake, denke ich. Ich habe es doch gewusst, darum geht man nicht ans Telefon!

„Das war eine Dame der Potho-von-Pothenstein-Akademie“, sagte sie weiter.

Oha! Potho von Pothenstein! Klingt wie einer meiner ausgedachten Namen, ist aber echt. Potho von Pothenstein war einmal Bischof von Münster und die nach ihm benannte Bildungseinrichtung ist mir natürlich als Münsteraner bekannt, da ich vor einigen Jahren einmal ihre Toilette benutzt hatte, als ich keinen anderen Ausweg mehr gesehen hatte. Lange her, andere und bereits geschriebene Geschichte.

„Sie verleihen dir einen Preis! Wirklich!“, sagte meine Frau.

„Leihen? Zum Zurückgeben? Dann sollen sie ihn doch gleich behalten. Das habe ich noch nie verstanden, dieses Verleihen von Preisen.“

„Ja, was weiß ich. Du bekommst eine Mail von denen, da stünde alles Weitere drin. Die Verleihung ist am … Ende August irgendwann, ich hab’s vergessen, steht in der Mail.“

Im Laufe der dann und wann folgenden Tage wurde die Angelegenheit mit abnehmender Grenzklarheit klarer. Die Sache stellte sich nicht nur als echt heraus, sondern auch noch als renommiert: Als Preisträger reihe ich mich ein in eine beachtliche Riege bisheriger Träger: Malvin McThunderlight (1949), Algon Almavater (1956), Rimanda Reckstahl (1963), Prinz Hugo van Aschleck (1976), Ed von Schleck (1987), Helmut Kohl (1990), Bert Buch (1999), Juna Juttermann (2009) und Klarissa von Anstetten (2018), um nur die bekanntesten zu nennen. „Sebastian Flotho (2025)“ – das gefiel mir. Das wertet den Preis ja auch noch mal enorm auf, wenn da plötzlich mein Name steht. Viele der bisherigen Preisträger fallen ja vorwiegend mit dem eigenen Tod auf. Ich hingegen habe die beste Cait noch vor mir und bin das ideale Aushängeschild für diesen Literaturpreis.

Anfang August fand dann ein Vorgespräch statt. Im Rathaus empfing mich eine Dame, die hier einen anderen Namen bekommen soll, da sie ihn an dieser Stelle nicht lesen möchte und auch nicht mehr kann. Frau Pislaczek bespricht mit mir die Einzelheiten für die Preisverleihung am 31. August. Ich solle beispielsweise eine Rede vorbereiten.

„Ich bereite nichts vor, ich bereite nie etwas vor. Haben Sie das meinen Texten nie angemerkt?“, fragte ich sie.

„Ich habe Ihre Texte gar nicht gelesen, ich bin hier nur die Projektassistenz der Jury“, erklärte sie mir nüchtern.

Vermutlich fehlte ihr auch der Verstand, den es zum Verstehen meiner literarischen Schöpfung braucht, dachte ich mir. Sie war sicher nur eine einfache Handlangerin von der Straße, die vermutlich nur mit Ach und Krach die Buchstaben auseinanderhalten konnte. Es war mir zuwider, meine kostbare Literatenzeit mit niederem Gelichter zu verschwenden, jetzt, wo ich doch Literaturpreisträger war. Aber einer, der deshalb nicht gleich abhob – ganz im Gegenteil: Bodenhaftung war und ist nun das A und O. Auch, wenn ich mich künftig wohl kaum noch unerkannt in der Öffentlichkeit werde bewegen können, wie ich annahm.

Wenige Tage vor der Preisverleihung legte ich mir einen Autoren-Account bei Wikipedia an, um die Liste von Persönlichkeiten der Stadt Münster um meinen Namen zu erweitern. Ich werde zwischen Stephan Orth, einem anders als ich es bin, unwichtigen Schriftsteller und Journalisten, und Dennis Kruppke, einem Fußballspieler, stehen. Mein Name zwischen den beiden wertet sie natürlich enorm auf und ich überlegte, mich von ihnen dafür bezahlen zu lassen. Jeder, der mich bei Wikipedia sucht, wird künftig auch diese beiden Herrschaften finden. Auf meine Kosten! Überhaupt werde ich jetzt als Werbeträger relevant. Ich beschloss, ab sofort Telefonanrufe entgegenzunehmen. Bislang waren zwar keine weiteren eingetroffen, aber ich nahm an, dass sich das spätestens nach der Preisverleihung ändern würde. Hielt es für möglich, dass die Stadt Münster mich künftig als Aushängeschild einsetzen würde. Sie wäre ja schön doof, das nicht zu tun. Wenn auch nur ein Deut meines Ruhmes auf sie abfärbt, könnte sie in den Rang einer Literaturweltmetropole aufsteigen. Das hatte Stephan Orth bislang nicht geschafft. Danke für nichts.

Kurz vor dem 31. August wurden mir die entscheidenden Unterlagen der Akademie zugestellt – postalisch. Auf einem Wege also, auf dem man mich zuverlässig erreicht. In einem dicken Umschlag finde ich eine Urkunde (die inzwischen in einem Goldrahmen über meinem Kamin hängt und prangt) und vor allem die Begründung der Jury für ihre Entscheidung, mir den Potho-von-Pothenstein-Literaturpreis zu verleihen:

Dem gebürtigen Münsteraner Stephan Orth ist es mit seinem Buch „Opas EisbergAuf Spurensuche in Grönland“ auf eindrucksvolle Weise gelungen …

Moooment! Was?! Stephan Orth?! Grundgütiger! Da ist etwas schiefgelaufen! Sofort konsultierte ich meine Sekretärin, die auch als meine Ehefrau fungiert.

„Lies das mal! Sie müssen sich vertippt haben!“

Meine Frau las ausführlich und mehrfach.

„Nein, sie haben sich nicht vertippt. Man hat dich verwechselt. Du musst das schnellstens aufklären!“

„Frau Pislaczek! Unfähig! Das hat sie verbockt! Das kann nicht sein, das darf nicht sein! Ich bin nicht bereit, meinen Preis zu teilen!“

„Du sollst ihn auch nicht teilen, du bekommst gar keinen.“

Es ist der 31. August. Ich stehe an einem Pult im Friedenssaal des Rathauses Münster und nehme den Potho-von-Pothenstein-Literaturpreis entgegen:

„Sehr geehrte Gäste, verehrter Herr Oberbürgermeister, Noch-Oberbürgermeister …“, heiteres Gelächter im Saal, die Pointe sitzt, man versteht sich, man nickt sich zu, „lieber Herr Vorsitzender der Potho-von-Pothenstein-Stiftung, liebe Jury dieses wichtigen Literaturpreises. Wie unwirklich es ist, dass ich hier nun vor Ihnen stehe in diesen historischen Räumlichkeiten, die ja dadurch enorm aufgewertet werden, und ausgezeichnet werde für meine Reise auf Opas Spuren durch Grönland.“

Plötzlich schallt es „Lüüüüüüüügner!“ aus dem Publikum: Eine Frau, ganz hinten, erhebt sich, streckt mir ihren am langen Arm ausgestreckten Zeigefinger entgegen: „Dieser Mann ist ein Scharlataaaaaan! Er ist nicht einmal ein richtiger Schrifsteller!“

Es ist Frau Pislaczek, die sich da erhob und mir meinen Preis missgönnt. Meine schöne goldene Potho-von-Pothenstein-Figur, schwer wie ein Betonklotz, weil sie das wohl auch ist: ein wenn auch vergoldeter Betonklotz. Ich muss diese Frau zum Schweigen bringen, denke ich, und hebe den Betonklotz an, ziele auf die Verräterin, werfe und … Treffer! Versenkt! Frau Pislaczeks Stirn platzt auf, sie geht zu Boden und ist unfähig, ihre ja nicht ganz so unzutreffenden Anschuldigungen weiter auszuführen.

„Oh, ein Unfall!“, rufe ich, „Ist ein Arzt unter dem Pöbel? Der Frau muss geholfen werden!“

Chaos bricht sich bahn, das ich nutze. Zur Flucht. Sage schnell noch „Ich danke vor allem meiner Sekretärin, die sich auch als Ehefrau hervorgetan hat“ und fliehe durch das Getummel nach draußen auf den Prinzipalmarkt, wo mir ein Eimer roter Farbe entgegenkommt. Das aber beunruhigt mich nicht, da es nur ein unglücklicher Zufall ist, werden derzeit mehrfach und wiederholt Gebäude in Münster Ziel politisch motivierter Farbattacken, was ich an dieser Stelle scharf verurteile. Und als Literaturpreisträger hat mein Urteil ja nun mehr Gewicht als vorher ohne Preis. „Ich verurteile dieses!“, rufe ich also laut, raffe mich vom Boden aus der Farbpfütze auf und fliehe in die Nacht.

Bis zum heutigen Tage hat man mir den Preis nicht abgenommen. Ich nehme an, man hat eingesehen, dass ich der einzig wahre Preisträger bin.

Ich lebe allerdings nun im Untergrund und bin auch postalisch nicht mehr zu erreichen.


Dieser Text ist Teil der Vollständigen Edition. Weitere Texte von Seppo auf www.seppo.blog.