„Man popelt nicht in fremden Nasen“, sagt Zacharias.

„Was?! Warum sollte man?“, frage ich.

„Naja, das sagen die Einheimischen hier so. Nicht in anderer Leute Nasen popeln, sich raushalten aus den Angelegenheiten anderer. Das macht ein bisschen die rutztekostanische Mentalität aus. Darum hatte sich das Volk damals dem Regime so widerstandslos unterworfen. Das Volk hält sich hier traditionell aus Politik und Mitbestimmung raus. Darum fiel den Russen der Einmarsch so leicht: kein Widerstand. Im Grunde wie in Deutschland, da wird der Russe auch nicht auf nennenswerten Widerstand stoßen. Von den AfD-Nazis würde er sogar begrüßt werden.“

Es ist inzwischen unser dritter Tag in Rutztekostan. Nur dank Zacharias‘ Fähigkeiten als Schleuser war es uns gelungen, in das Land vom russischen Besatzer unbemerkt über eine geheime Transit-Eisenbahnstrecke einzureisen. Auch unsere Unterkunft hat er uns über seine Kontakte zum rutztekostanischen Machtzirkel beschaffen können. Und mir kommt diese konspirative Wohnung irgendwie bekannt vor.

„So vertraut irgendwie“, sage ich zu Zacharias, „als wäre ich häufiger hier.“

„Hier wurden und werden die meisten der rutztekostanischen Fetisch-Pornos gedreht“, klärt er auf.

Es ist Ende Juli, praktisch Hochsommer in Rutztekostan, was man als Gast in diesem Land nicht feststellen kann, da sich in Rutztekostan aufgrund seiner geographischen Lage zwischen sapristischer See und den Trzklwczyer Berghöhlen jeden Morgen der interkontinentale Restregen abregnet.

„Das nennen sie hier ‚Morgendusche'“, erklärt der vielwissende Zacharias uns, „Danach hellt es in aller Regel auf. Oft aber auch nicht und es regnet in einem durch. Stell dir mal vor, das wäre euer Sommerurlaub! Was für eine Pleite das wäre!“

„ES IST UNSER SOMMERURLAUB!“, mischt sich lautstark meine Frau ein. Sie hat ja Recht und fasst noch einmal die Gesamtsituation für alle zusammen, auch für den Leser, aber zuvorderst für den Autor, der sich selbst bei der Gelegenheit noch einmal darüber klar werden muss, was er eigentlich mit der Handlung vorhat, wohin die Reise gehen soll.

Wäre unser Sommerurlaub“, fährt meine Frau fort, „Doch statt in unser Feriendomizil mussten wir ja nach Rutztekostan zur geheimen Raketenforschungsanlage auf der Hauptinsel Sapristi, damit den Russen und/oder den Chinesen nicht die von Seppo …“

Das bin ich, verehrter Leser …

„Nicht die von Seppo entwickelte interplanetare Hyperschallatomwasserstoffkernfusionssolarwindkraftrakete SF-3000 in die Hände fällt, mit der die Russen die Welt unterwerfen wollen. Die Baupläne für diese Rakete haben die Rutzteken – von denen ich nicht weiß, ob sie Freund oder Feind sind, und ich nehme an, der Autor dieser Zeilen hat das auch noch nicht so richtig zuende gedacht – auf einem unserer Tochter eingepflanzten Chip gespeichert. Nun sind mindestens die Russen hinter uns her, um an die Baupläne zu gelangen. Gleichzeitig mussten wir zur Raketenforschungsbasis, um zu verhindern, dass … ja, was eigentlich? Ist die Rakete schon fertig gebaut?“

„Eine sehr gute Frage!“, sagt Zacharias, „Denn wenn sie fertig ist, braucht ja niemand mehr die Baupläne. Jetzt bin ich unsicher, ob wir uns überhaupt auf den Weg hätten machen müssen. Vielleicht klärt uns der auktoriale Erzähler dieser Geschichte auf.“

Alles schweigt im Raume. Alle sehen mich an. War ich mit „auktorial“ gemeint?! Was bedeutet auktorial? Ich muss kurz googlen. … Achso! Allwissender Erzähler! Das bin ja wirklich ich. Ich sollte wohl die Handlung vorantreiben. Augenblick … Ja, also, wir sind wie gesagt am dritten Tag in Rutztekostan, das Wetter ist eine Vollkatastrophe und wir haben regenbedingt zwei Tage die geheime Unterkunft nicht verlassen. Haben uns treiben lassen. Kurz vergessen, dass wir die Welt retten müssen. Doch dann, am dritten Tag, bin ich es selbst, der den trägen Moment für eine pathetische und kraftvolle Ansprache nutzt, um meine Gefährten aufzurütteln:

„Ja, dann lass mal losegehen, Richtung Raketenforschungszentrum. Dass bitte jeder an seine Kur-Karte denkt. Und wenn wir gleich da draußen sind: Respektiert den Dünenschutz. Schützt die Dünen!“

„Schützt die Dünen!“, jetzt alle im Chor.

„Und jetzt nur die Frauen!“, rufe ich.

„Schützt nur die Frauen!“, rufen alle.

„Nein, nur die Frauen rufen ‚Schützt die Dünen!'“, mahne ich.

„Schützt die Dünen!“, rufen meine Frau und meine Tochter.

„Jetzt nur die Männer!“

„Schützt die Dünen!“, rufen Zacharias und ich.

„Jetzt nur die Kinder!“

„ES IST GUT JETZT!“, ruft meine Frau und setzt unsere Tochter in den Buggy (baggi) und auch Zacharias ist bereit, sich in das große Abenteuer zu stürzen. Retten wir die Welt! Auf geht’s.

„Augenblick …“, sage ich, „Der Reißverschluss. Moment, er klemmt. Ich weiß auch nicht, welcher in welchen kommt …“

Am Morgen hatten wir alle uns Jacken gekauft. Wegen der „Morgenduschen“. Da wir auf Sonne und hohe Temperaturen eingestellt waren – es ist ja schließlich Ende Juli! -, hatten wir nun wirklich keinen Gedanken daran verschwendet, unsere Koffer für einen Skiurlaub zu packen. Und so ging es heute Morgen zunächst einmal in die Einkaufszone der Insel Sapristi, um winterfeste Kleidung zu kaufen. Wegen der permanenten Stromausfälle war es sehr dunkel in dem Laden, in dem ich meine Jacke anprobierte. Erst wieder draußen fiel mir auf, dass mein erworbenes Kleidungsstück eine spezielle „Mountain-Storm-Jacke“ mit drei Reißverschlüssen ist, die alle geschlossen werden müssen – in der korrekten Reihenfolge. Das kostet jedes Mal immer etwas Cait.

„Augenblick noch, ich hab’s gleich. Ich muss nur noch den richtigen Verschluss zu diesem Zipper hier finden … Moment … Nein, das war der falsche … Sie hätten sie farbig markieren sollen … Einen Moment noch, das geht gleich ganz schnell …“

Einige Cait später sind wir bereits einige Stunden unterwegs. Man erwarte uns im Raketensilo in einer Berghöhle inmitten der Trzklwczyer Berghöhlen-Landschaft. Es herrscht eisiger Wind, nur unterbrochen von Eisregen, der meiner Frau, meiner Tochter und Zacharias ins Gesicht peitscht, während meine Sturmjacke sich plötzlich als Glücksgriff erweist. Zwar sehe ich nichts, da ich mich beim Anziehen der Jacke in ihr verirrt habe und mein Kopf sich in der komplizierten Kapuze verhakt hatte, aber sie schützt mich immerhin vor den Schüssen der russischen Scharfschützen, die sich in den Bergvorsprüngen verschanzt haben.

„Meine Jacke ist kugelsicher!“, triumphiere ich, während meine Gefährten nur mit Glück den Kugelhagel überstehen. Meiner Tochter gelingt es immerhin, mit dem Maschinengewehr, das wir dem russischen Soldaten Mike Grell abgenommen hatten, einige der Scharfschützen und unvorsichtige Steinböcke zu erledigen.

Und so stehen wir endlich am Eingang des Silos. Zacharias klopft dreimal, das geheime Klopfzeichen, und die Luftschutzluke öffnet sich unter großem Knarren.

„Malestoban!“, rufe ich überrascht, denn er ist es, der uns empfängt. Treue Leser kennen ihn bereits als Agenten des BNDs. Schön, dass ich hier noch einmal Verwendung für ihn finde.

„So sieht man sich wieder, Seppo. Und ich nehme an, das hier ist deine Frau?“, fragt er.

„Nein, das ist meine Tochter. Das hier ist meine Frau.“

„Und Zacharias. Ihr habt es allesamt geschafft. Nicht schlecht. Die meisten Menschen schaffen es nicht durch die Trzklwczyer Berghöhlen. Aber wir müssen uns nun beeilen. Der hohe Rat der dunklen Wissenschaften hat sich im unteren Teil des Silos verschanzt und berät über den Fortgang der Handlung dieser Ereignisse, die wir hier zusammen erleben. Er steht vor der Entscheidung, ob wir die fast fertiggestellte Rakete zerstören, damit sie den Russen nicht in die Hände fällt“, erklärt Malestoban uns, „Und dann müssen wir die Raketenbasis zerstören. Oder wir zerstören die Raketenbasis direkt mit der Rakete in ihr. Oder wir nutzen die Rakete, um die Basis zu zerstören.“

„Das ist ja eine enorme Bandbreite an Möglichkeiten“, stelle ich beeindruckt fest und stelle die Frage: „Wie hast du mich eigentlich erkennen können trotz der Tatsache, dass ich in dieser Jacke feststecke?!“

„Seppo, du kennst mich schlecht. Die Brille, die ich trage, ist eine Röntgenbrille, die X-Ray 3000spy.“

Wieder bin ich beeindruckt: „Habt ihr auch etwas, um mich aus dieser Jacke zu befreien?“

Malestoban runzelt die Stirn. Könnte ich mir vorstellen, denn sehen tue ich ja nichts. Trotzdem bin ich gleichzeitig der allwissende Erzähler. Auch sehr beeindruckend. Das hat’s in der Literaturgeschichte noch nicht gegeben!

„Lass mal sehen, was für ein Modell das ist … hmm … Unmöglich, Seppo. Das sind drei Reißverschlusslagen übereinander. Wer konstruiert denn so etwas? Das sieht mir aus wie eine Luftschutzjacke. Die muss dich ein Vermögen gekostet haben!“

„Geht eigentlich. 130 Rutztki. Runtergesetzt. Wer kauft schon Winterjacken im Sommer. Schnapper!“

Meine Frau mischt sich ein: „Ich schlage vor, dass wir uns die interplanetare Hyperschallatomwasserstoffkernfusionssolarwindkraftrakete SF-3000 zunutze machen, indem wir sie als Vehikel hier raus benutzen. Denn es reicht ja nicht, hier alles zu vernichten, wir müssen ja auch noch irgendwie hier wegkommen. Ist die interplanetare Hyperschallatomwasserstoffkernfusionssolarwindkraftrakete SF-3000 zum Transport von Personen ausgelegt?“

Das ist sie in der Tat, berichte ich meinen Freunden. Wenn wir es schaffen, sie einsatzbereit zu machen, könnten wir mit ihr fliehen. Zwei Fliegen mit einer Klappe: nicht nur nicht würde den Russen die interplanetare Hyperschallatomwasserstoffkernfusionssolarwindkraftrakete SF-3000 in die Hände fallen, auch würden sie meine Tochter mit dem implantierten Bauplan nicht erwischen – und wir wären in Sicherheit.

„Das sind drei Fliegen“, korrigiert mich meine Frau, obwohl ich obiges in meiner Rolle als allwissender Erzähler schrieb und eben nicht in meiner Vor-Ort-Rolle. Verworren, aber es fehlt uns die Cait, das näher zu analysieren.

„Dann informieren wir den Rat der dunklen Wissenschaften über unseren Plan!“, sagt Zacharias.

„Und dann geht es nach Hause!“, triumphiere ich.

Doch ich machte die Rechnung ohne diesen Cliffhanger:

Malestoban zieht plötzlich eine Waffe: „Für euch endet die Reise hier, Freunde! Ha-ha-ha-haaaa!“


Was für eine Wendung! Malestoban – ein Verräter?! Das ist wahrlich ein großes Abenteuer, in das wir uns da gestürzt haben. Lesen Sie schon bald den vierten Teil dieses Epos. Hier in

Dieser Text ist Teil der Vollständigen Edition. Weitere Texte von Seppo auf www.seppo.blog.