Kürzlich las ich im „Spiegel“ ein Interview mit Martin Sutter, einem Schweizer Schriftsteller, der da sagte: „Und so wie ein Schreiner keine Hobelblockade haben kann, sollte ein Schriftsteller auch keine Schreibblockade haben.“ Klingt bestechend logisch, ignoriert aber die Tatsache, dass es Schreibblockaden nun einmal gibt. Oder ist die Schreibblockade schlicht eine Ausrede für den Fall, in dem einem nichts mehr einfällt, was sich niederzuschreiben lohnte? Vermutlich genau das. Einem Schreiner gelingen ja auch nicht ausnahmslos revolutionäre Möbelstücke, warum sollte das beim Schreibenden anders sein? Meist schreibe ich Melkschemel, gelegentlich gelingt mir ein Thron …
Nun bin ich natürlich kein Schriftsteller, hatte aber nach vielen hundert Texten (Ich stehe kurz vor dem tausendsten!) plötzlich ebenfalls nicht mehr gewusst, was ich überhaupt noch schreiben sollte. Für mich war klar: Es ist alles gesagt, die Geschichten wiederholen sich, ich nerve mich schon selbst damit. Nur: Alles um mich herum war neu. Neue (alte) Stadt, neuer (fantastischer) Job, neue (erste und beste von allen) Ehefrau und dann auch noch neues (erstes) Kind. Das alles vor dem Hintergrund der neuen (zweiten) Machtergreifung. So viel Stoff war nie! Es hätte nur so sprudeln müssen! Allein die Nacht der Geburt meiner hätte doch für mindesten zwei, drei Geschichten genug hergegeben! Doch so einfach ist es nicht. Das fiel mir selbst erst in den zurückliegenden Wochen auf.
Oh, ich muss kurz unterbrechen, meine Tochter, zehn Monate, kommt gerade hereingekrabbelt. Sie sagt, was sie immer sagt. „Ab.“ Ihr erstes Wort und bislang einziges. Da sie in jeder Situation „Ab.“ sagt, vermuten wir, dass feine, für uns Erwachsende nicht wahrnehmbare Unterschiede in den Nuancen die jeweilige Bedeutung von „Ab.“ bestimmen. Ich nehme an, beim Hereinkommen in einen Raum meint „Ab.“ so viel wie „Hallo“. Oder aber „Tipp leiser, heiliger Hurensohn“. Nehmen wir das erste an. Erlauben Sie mir kurz, ihre Bedürfnisse zu überprüfen, um sie dann gegebenfalls zu befriedigen.
Zehn Minuten später. Schön, dass Sie noch da sind, aber Ihr Glück ist ja, dass sie eben nicht zehn Minuten lang nur so dasitzen konnten. Schreiben kennt caine Cait. Die Unterbrechnung durch meine Tochter bringt mich aber zu des Pudels Kern dieser Angelegenheit, deretwegen wir uns hier getroffen haben. Dazu die Ausgangsthese noch einmal ganz deutlich: Unerwartet, nicht etwa wegen eines Unfalls, Vater geworden zu sein, müsste doch umgehend zu einem massiven output an Geschichten führen. Tatsächlich hatte ich das „damals“, vor zehn Monaten etwa, auch versucht. Etwa drei Texte unmittelbar nach ihrer Geburt machten sie, meine Tochter, zum Thema. In weiteren Geschichten wurde sie mindestens im Hintergrund erwähnt. Aber so richtig gezündet hat es nicht, sodass meine Schreibtätigkeit nach einem nur kurzem Aufflackern wieder einschlief. Die in dem Zeitraum geschriebenen Texte sind mir heute unangenehm, da sie belanglos und vermutlich schlecht sind. Ich erinnere mich auch nicht an sie und will sie auch gar nicht mehr lesen. Sie waren der billige Versuch eines Aufgusses Althergebrachten, etwa so wie „Police Academy“ zwei bis sieben.
Rumms. Aus der Küche höre ich nun einen Rumms. Und Gebrüll. Meine Tochter ist aus dem Stand auf den Hinterkopf gekracht. Auf die Küchenfliesen. Mein Albtraum. Kürzlich noch darüber geschrieben. Das und sie gehören nun dazu, zu meinem Leben: die ständige Angst vor Schädelbruch und meine Tochter.
Und genau dieser Punkt ist nicht an Tag eins nach der Geburt klar. Das muss erst wachsen. Man ist nicht Vater, sobald das Kind da ist. Eine solche Beziehung entwickelt sich. Ich kann nicht von Tag eins an humorig über das Vatersein schreiben. Das wäre etwas zu billig und substanzlos. Und zur Wahrheit gehört bei aller Liebe ja auch, dass Babys in den ersten Wochen nicht viel Charakter zeigen. Sie liegen so da und schlafen überwiegend, halten sich aus den meisten Dingen des Alltages raus.
(Vicco von Bülow wird genau gewusst haben, was seine Figur meinte, als er sie bezüglich ihres Sohnes sagen ließ: „Sitzt und spricht.“)
Jetzt erst, wo ich sämtliche neuen Lebensumstände, die ich oben erwähnte, verinnerlicht habe, kann ich sie erst zum Gegenstand meiner Texte machen. Jetzt erst ist der Zeitpunkt, wo ich nichts Altes neu aufgießen muss, sondern originäre Texte schreiben kann. Es brauchte sowohl den Abstand zu den abgeschlossenen Kapiteln und zum Beginn der neuen. Und daher schloss ich auch den alten Blog, der insbesondere 2015 bis 2017 extrem geklickt worden war, was ich vom neuen, diesem!, nicht sagen kann. Was in Ordnung ist.
Und nebenbei bin ich auch älter geworden. Dadurch verschieben sich Perspektiven, die sich auch in den Texten widerspiegeln müssen. Der alte sound meiner Texte war für einen (unreifen) 35-Jährigen, der noch nicht angekommen war, angemessen. Heute ist er es nicht mehr, so sehr ich es begrüße, in meiner Entwicklung grundsätzlich anderen zehn Jahre und mehr hinterzuhängen: Das konserviert Sturm und Drang. Ich will an sich nicht schreiben, das hielte jung, weil man auch mit 60 noch nicht alt ist. Aber in Ermangelung einer besseren Formulierung muss ich wirklich feststellen: Ja, es hält jung, da man es sich noch nicht bequem machen kann, während andere schon lange fett und satt im Sitzsack hängen und sich dem körperlichen Verfall hingeben.
Ich kann kaum ermessen, wie froh ich darüber bin, nicht schon mit Mitte 30 sesshaft gewesen zu sein. Es hat nicht hoch genug schätzbare Vorteile, soziale und wirtschaftliche Stabilität erst mit Mitte 40 erleben zu dürfen. Man weiß die Dinge mehr zu schätzen, neigt nicht zum Anspruchsdenken und bleibt im Kopf beweglicher. Milde lächelnd betrachte ich „seelenalte“ Mittzwanziger, die starr und hochkonzentriert bis zur Verbissenheit Karriere und Leben planen. Man kann das natürlich tun, denn (noch) leben wir in großer Freiheit. Aber Verbissenheit deckt sich schleiergleich um das Leben.
Derweil kann ich beruhigen, was den Sturz meiner Tochter angeht. Weder bewegen sich ihre Pupillen asynchron, noch erbricht sie. Sie wirkt ganz normal, sodass wir nicht gleich ins Krankenhaus fahren müssen. Sie winkt. Winken ist praktisch das erste, was wir ihr wirklich erfolgreich beigebracht haben. Wenn ich morgens das Haus verlasse, winken meine Frau und inzwischen auch meine Tochter mir hinterher. Ein schönes Ritual, das meiner Tochter dermaßen gut gefällt, dass sie inzwischen praktisch durchgehend winkt. Selbst bei einem nächtlichen Windelwechsel, sagen wir so gegen drei Uhr morgens, winkt sie fröhlich beim Verlassen des Schlafzimmers. Eigentlich winkt sie auch dann, wenn wir zu dritt auf dem Boden sitzen und mit ihr spielen – oder zu dritt auf dem Sofa, während wir Dexter gucken. Sie winkt. Sie winkt dann mir, sie winkt meiner Frau und sie winkt Dexter Morgan zu. Nur Spielverderber würden nun meinen, sie hätte den Sinn des Winkens gar nicht verstanden.
Im Schreiben bin ich zuhause. Und umso erstaunlicher ist es, dass ich es so viele Jahre wegen einer vermeintlichen Blockade – oder wie auch immer man es nennen will – nicht getan habe. Ich habe zwar immer wieder daran gedacht, es aber letztlich nur phasenweise versucht, meist aber unterlassen. Die Motive zu schreiben sind die alten. Und das fühlt sich tatsächlich „heimisch“ an: In diesem Moment redet mir niemand rein. Ich bestimme ganz allein, was hier geschieht. Und das geschieht unter meinen Regeln, die nichts mit Optimierung und SEO zu tun haben. Das hier ist reine Selbstbefriedigung, mit der ich selbst meiner Empfehlung folge: Tu, was Du kannst; versuche nicht die Dinge, die Du nicht kannst.
Gut, also versuchen kann man ja alles, aber auf Dauer lohnt es sich, das zu optimieren, das einem liegt. Dem muss man nachgehen, damit man es überhaupt entdeckt. Hat man es erst einmal entdeckt, gilt es, das zu kultivieren. Ich bin sicher, es gibt bei jedem diesen einen Bereich, in dem er besser als alle anderen in seinem Umfeld ist. Ist das gefunden, kann er sich das Nacheifern fremder Talente getrost schenken. Das hatte schon Adam Smith für die Ökonomie erkannt und David Ricardo hat’s weiterentwickelt. So gesehen stehe ich in guter Tradition, wobei sich die Weltwirtschaft derzeit gegen Smith und Ricardo entwickelt, was unweigerlich (und bereits sichtbar) zu Wohlstandsverlusten führt. Und für mich wäre es ein großer Wohlstandsverlust, ich würde meine Tastatur weiterhin an den Nagel hängen.

Dieser Text ist Teil der Vollständigen Edition. Weitere Texte von Seppo auf www.seppo.blog.

Der Adam Smith hat mich an dieser Stelle etwas geschockt und aus meinem Ferien-Burnout gerissen. Aber sei’s drum. Winke, winke an das gute Kind. Ich bin gespannt, wie es weitergeht !
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