Der Vollständigkeit könnten Sie den ersten Teil dieser Reihe lesen – notwendig ist das aber nicht. Wie auch immer Sie sich entscheiden: Ich wünsche erheiternde Lektüre.
Wenn ich meine Tochter beschreiben müsste, würde ich sie als dramatisch unternehmungslustig und wissbegierig bezeichnen (was mich als biologischen Vater eigentlich komplett ausschließen müsste). Sie ist zehn Monate alt, damit aus dem Gröbsten raus und vermutlich treffen die genannten Attribute auf jedes Kind dieses Alters zu. Und wenn meine Tochter nicht gerade beim Ballett ihre Beinchen in sämtliche Richtungen schwingt oder auf ihrem Schimmel hier beim Reitverein in der Südstadt demselben, also dem Schimmel, nicht dem gesamten Verein, Beinchen macht, ist sie beim Mandarin-Kurs oder gerade auf dem Weg zu ihren Klavierstunden oder sie ackert für ihren Pilotenschein, was sie besonders gerne auf ihrem Segelboot (Optimisten-Klasse freilich) tut, in aller Ruhe und Abgeschiedenheit als Kontrast beispielsweise zu ihrer Laien-Theatergruppe. Und wenn all das nicht zutrifft, erkundet sie sicher unsere Wohnung.
Die Caiten, in denen wir sie morgens irgendwo ablegen konnten, um sie abends wieder einzusammeln, sind Geschichte, sie ist einigermaßen mobil und steht auf zwei Beinen, sofern sie sich dabei irgendwo festhalten kann. Selbstverständlich verliert sie gelegentlich genau diesen Halt, um dann auf den Boden zu krachen: wahlweise mit dem kleinen Pöter, dem Rücken oder dem Hinterkopf. Gerade im dritten Falle gilt es, nach dem Aufprall die Vitalwerte zu beobachten. Wichtigste Erkenntnis (vermutlich aller Eltern): Solange das Kind nach allen Kräften schreit, ist es weitgehend gesund im Sinne von nicht in akuter Lebensgefahr. Schweigt es hingegen nach dem Aufprall auf den Kopf, ist Gefahr in Verzug und Panik die absolut und einzig angemessene Reaktion. Sitze ich beispielsweise hier an der Schreibmaschine und höre aus Richtung Kinderzimmer ein (inzwischen vertrautes) Rummsen, dann atme ich erst dann auf, sobald ich ihr kräftiges Stimmchen brüllen höre. Bleibt es hingegen stumm, heißt es: Notstand aus- und THW anrufen.
Im ersten Teil dieser Reihe starteten wir gemeinsam mit meiner Tochter am Sofa und hatten es wegen diverser Unterbrechungen durch meine Frau lediglich bis zum Couchtisch geschafft. Von da aus soll es nun weitergehen. Starten Sie dazu bitte auch gerne dieses Video zur musikalischen Untermalung.
Der Couchtisch ist so eine Sache. „Früher“ stand dort Deko, original philippinisches Porzellan, kleine Schälchen, weiß. Seit Weiß im Wohnzimmer nicht mehr die Akzentfarbe ist, ist Schälchens Abwesenheit im Grunde ein schöner Mitnahmeeffekt; der wahre Grund ist aber, dass unsere Tochter nach allem greift. Und das, was sie ergreift, ist in größter Gefahr – insbesondere Porzellan, da Porzellan beim Aufprall zerbricht. Und zum Aufprall kommt es auf jeden Fall, denn meine Tochter macht keine halben Sachen. Greif, schüttel, werf. Das ist ihre Herangehensweise.
Auf dem leeren Tisch gibt es somit nichts mehr für sie zu holen, nicht einmal eine unachtsam abgestellte Tasse brühheißen Kaffees, die sie sich über ihr Gesicht gießen könnte. Koffein vertragen sie in dem Alter noch nicht, schon gar nicht umhüllt von 90 Grad heißem Wasser.
Somit zieht sie vom Tisch schlecht unterhalten weiter … und ich hinterher, denn es geht zum .. tja, wie nennt man dieses Möbelstück … Kommode? … Sideboard? … Also das Teil, auf dem unser Fernseher steht, von dem ich hoffe, dass er endlich seinen Geist aufgibt, da ich mir einen drei Meter breiten Samsung Frame an die Wand hängen will. So gesehen standen die Zeiten für mein Vorhaben nie besser!
Meine Tochter robbt also hinüber zum Fernseh-Möbel und hievt sich nach oben: greift zum Fernseher, schüttelt ihn … und würde ihn im Prinzip nun auch runterwerfen. Hier aber interveniere ich dann doch, denn es bestünde nicht nur die Chance, dass das Gerät dabei zerstört würde, sondern auch das Risiko, dass er dabei meine Tochter runierte. Ein zu hoher und meiner Frau schwer zu vermittelnder Preis, sodass ich rufe:
„Nein! Fernseher ist nein!“
Sie versteht das inzwischen. Sie versteht, dass ein ihr an den Kopf geworfenes Nein eine Aufforderung zur sofortigen Einstellung der aktuellen Handlung ist. Skeptisch blickt sie mich an. Ihre Mundwinkel bewegen sich nach unten. Die Stimmung droht zu kippen.
Aber sie fängt sich und akzeptiert es. Anfangs folgte einem Nein immer noch ein bitterliches und tränenreiches Drama. Aber inzwischen nehme ich es gelassener: Und sie setzt ihre Tour fort. Es geht etwa zwanzig Zentimeter weiter nach rechts. Dort steht auf dem TV-Mobiliar eine Grünpflanze, die vermutlich hochgiftig ist, sofern man sie isst. Erst seit meiner Tochter Geburt weiß ich überhaupt, dass viele unserer populären Zimmerpflanzen giftig sind, teilweise sogar tödlich. Da wir sie bislang nie gegessen haben, fiel diese Eigenschaft aber nie ins Gewicht. Und weil ich meine Tod bringenden Pflanzen nicht der Wohnung verweisen will, haben wir unsere Tochter dazu gebracht, weder sie noch ihre sie nährende Blumenerde zu essen. Es ist ein ganz wesentliches Prinzip unserer Erziehung, dass wir eben nicht die Wohnung dem Kinde anpassen, sondern das Kind der Wohnung. Ich bin nicht bereit, zu renovieren oder beispielsweise Schubladen zuzukleben oder sie um ihre Knaufe zu erleichtern. Gerade was Schubalden angeht, besteht der Trick darin, dass man gespannte Mäusefallen in sie hineinlegt. Da greifen auch junge Menschen nur ein Mal und danach nie wieder rein.
Bevor Sie das Jugendamt alarmieren: Die Methode haben wir natürlich nicht angewandt. Wir arbeiteten mit Bärenfallen.
Spasssssss. Natürlich nicht! Tretminen waren der Schlüssel.
Beruigen Sie sich! Auch das war nicht unsere Methode, sondern auch bei Schubladen – nicht bei allen – rufen wir: „Nein! Schubladen sind nein!“ Inzwischen weiß sie, welche Schubladen sie öffnen darf und welche eben nicht. Tatsächlich sind wir sehr erstaunt, wie einfach dieses Erziehungsprinzip funktioniert: Erstaunlicherweise muss man Kinder gar nicht verprügeln! Man muss lediglich mit ihnen kommunizieren. Wenn man bedenkt, dass inzwischen ein Viertel der wählenden Deutschen wieder bereit ist, Nationalsozialisten und Faschisten in unseren Bundestag zu wählen, ja, ab 2029 (spätestens) in eine blau-schwarze Koalition, dann können wir davon ausgehen, dass Kleinkinder klüger sind als mindestens dieses eine Viertel. (Funfact: Immer wenn meine Tochter Alice Weidel im sie hofierenden Öffentlich-Rechtlichen sieht, befüllt sie schlagartig, ja explosionsartig sogar!, ihre Windel. Nicht so funny: Das von mir (unironisch!) hochgeschätzte Öffentlich-Rechtliche hat weiterhin vor, die Nationalsoziafaschisten „inhaltlich zu stellen“, um sie somit salon- und dann regierungs“fähig“ zu machen, damit die AfD sie am Ende dann abschafft. Den entsprechenden Faktencheck liefern sie dann aber sicherlich nach, denn das wollen die Deutschen ja zur Zeit: Fakten. Und ich hatte schon gedacht, wir wären im Kern doch ein faschistisches Volk, das sich nicht mehr um Tatsachen schert …)
Nachdem sie nun von der Pflanze abgelassen hat, lässt sie sich wieder gekonnt auf den kleinen Popo fallen, um ihren Weg durch die Wohnung fortzusetzen. Dabei ignoriert sie unseren Drachenbaum („Drachenbaum ist nein!“), und nimmt Kurs auf den Rechner, der eingeschaltet so schön bunt leuchtet. Hier heißt es nun obacht, denn der darf auf keinen Fall Schaden nehmen, da ich ihn demnächst meinem Vater vermachen will, um mir selbst ein neues Gerät zu kaufen. Ruhig beobachte ich sie … sie drosselt ihr Tempo … hält inne. Perfekt. Sie weiß: Rechner ist nein! Sie dreht um, nimmt Kurs auf … den Flur.
Unser Flur ist einigermaßen groß und leer. Diese Eigenschaft wissen wir erst recht zu schätzen, seit unsere Tochter sich bewegt. Denn den Flur bauen wir bei Bedarf innerhalb von Sekunden zu einem fantastischen Spielplatz um. Die Verletzungsgefahr ist dort verhältnismäßig gering, sofern ich nicht über sie stolpere, da der Flur eine ganz wesentliche Transitstrecke zwischen Küche und Wohnzimmer ist. Generell heißt das für mich: mehr auf den Boden gucken, wenn ich mich selbst durch die Wohnung bewege, denn schnell stolpert man über den noch eher kleinen Menschen, der einem dann womöglich noch ignorantes Verhalten vorwerfen könnte. Wo ist sie eigentlich gerade?
„Ist sie bei dir?“, rufe ich meiner Frau zu.
„Nahein, du wolltest auf sie aufpassen! Ist sie etwa nicht bei dir?“
„Äh, doch, doch. Quietsch-vergnügt!“
Ich muss nun dringend unsere Tochter suchen. Wo hab ich sie zuletzt gesehen? Im Auto. Hab ich sie nicht mit reingenommen? Sitzt sie noch in der Garage?!

Dieser Text ist Teil der Vollständigen Edition. Weitere Texte von Seppo auf www.seppo.blog.

Kinder, Kinder …Immerhin verfolgst Du sie noch genau.Ich erinnere mich da eine short story (so heißt das wohl neudeutsch) von Ephraim Kishon (Dein Vorbild, stimmt’s?):Die Eltern verfolgen gebannt DIE In-Serie im TV, als es im Kinderzimmer scheppert und kracht.“Schau schnell nach ihr“, fordern sie ihren Sohn auf.“Wozu? Sie ist doch schon runtergefallen!“Schande, diese Jugend. Kein Mitgefühl für die eigene Schwester! Alle drei gucken gebannt weiter …
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Kishon ist zumindest eine Orientierung, aber wohl nicht zu übertreffen. Er hatte den Vorteil eines politischen Hintergrundes, der vieles hergab.
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