„Und jetzt?“, frage ich mich.

Jetzt schreibe ich.

„Und was? Etwas Lustiges oder etwas Dystopisches?“

Ich lasse mich überraschen. Ich habe keine Idee, ich habe kein Ziel. Ich weiß nicht, was in der Mitte dieses Textes geschehen wird – oder ob die Mitte bereits überschritten ist.

„Du schreibst also auf gut Glück?“

Im Prinzip schon. Also so gesehen ist genau das die Idee des Textes. Ich fange einfach an zu schreiben und gucke, was kommt. Auf die Weise sind schon großartige Dinge geschrieben worden.

„Auch von dir?“

Ausschließlich von mir. Es gibt zwei, drei Texte, die ich für extrem unterschätzt und nahezu genial halte. Und das weiß ich immer erst nachher. Ich kann aber sicher sagen, dass …

„… dieser Text nicht dazugehören wird?“

Genau. Es sei denn, du hast eine zündende Idee, mit der ich nicht gerechnet haben werde.

„Nein, ich finde es eher respektlos, den Leser ohne Idee zu behelligen.“

Warum?! Wenn ich in ein Gespräch mit jemandem trete, weiß ich ja auch oft nicht, in welche Richtung es gehen wird, ob es gehaltvoll sein wird, ob es Spaß machen wird, ob es Smalltalk oder tiefgründig wird … Warum kann nicht auch ein Text so beginnen? Anspruchslos – im Wortsinne, nicht im wertenden – und offen. Wenn Schreiber und Leser dennoch merken sollten, so kommen wir nicht zusammen, sooooo nicht, dann gehen sie mindestens für diesen Text eben wieder getrennte Wege. Beide müssen dabei nicht einmal die Form wahren. Man kann sich praktisch ghosten. Und womöglich ist genau dieser Zeitpunkt schon erreicht und diese Zeilen werden auf immer ungelesen bleiben!

„Nur du liest sie, während du sie schreibst. Einweg-Zeilen. Wegwerf-Text.“

Dürfte ich das als Titel des Textes verwenden?

„Sicher.“

Siehst du, damit war vor wenigen Minuten noch nicht zu rechnen! Und das meinte ich! Dinge ergeben sich. Planvoll schreiben – sollen die anderen tun. Das wäre nicht meine Art. Wer Pläne macht, weiß in der Regel nicht, was er zu tun hat. Müsste ich erst planen, was ich schreibe, sollte ich mir ein anderes Handwerk suchen. Kreativität ist nicht planbar. Im Schreiben bin ich zuhause, da bin ich sicher, da bin ich souverän. Vielleicht darum tue ich es.

„Kreativität ist nicht demokratisch.“

Auch das nicht. Kommt der Spruch nicht sogar von mir?

„Nein, von Karl Lagerfeld. Du hast ihn dir aber angeeignet und inzwischen vergessen, dass er im Grunde geklaut ist.“

Zitiert. Er ist zitiert. Er stimmt und daher zitiere ich ihn gerne. Aber die Nicht-Planbar-Variante kommt von mir.

„Ich googlele das mal eben.“

Und?

„Nicht von dir. Haben schon andere vor dir erkannt. Kreativität sei das Ausnutzen von Zufällen, lese ich gerade …“

Ja, da ist auch was dran. Aber Zufälle sind in einem Punkt kein Zufall: Im Moment des Zustandekommens des Zufalls hat man durchaus Einfluss auf den Zufall. Denn man könnte ihm ja auch im Wege stehen. Die meisten Menschen, so meine ich, tun das. Sie streben sogar danach, den Zufall zu verhindern. Aber Zufälle muss man zulassen. Und hier schließt sich der Kreis: Meine Planlosigkeit ermöglicht Zufällen maximalen Raum. Die Ausbeute ist bei hohem Streuverlust gering, aber das liegt in der Natur der Sache. Zufälle sind Multiversen. Die meisten sind unbrauchbar. Es gilt, das eine zu erwischen, das sich als geeignet erweist. Dazu muss man hunderte ungeeignete ergründen und aussortieren. Und das ist nicht planbar, denn man müsste mit dem Unplanbaren planen. Wer das tut, wird überholt.

„Das wäre ein viel besserer Titel für den Text: ‚Planlosigkeit ermöglicht Zufällen maximalen Raum‘ oder so. Aber das kannst du sicher besser formulieren.“

Ja, da könnte ich was draus machen.

Deutscher Michel fürchtet rote Sichel.

„Hm?“

Das zum Beispiel fiel mir gerade ein, weil ich das Bild einer Sichel sah. Bei Sichel denke ich an Russland, und bei Russland denke ich derzeit weniger an Russisch Brot als an Krieg und Vernichtung.

„Das trübt aber nun die Stimmung.“

Guter Punkt. Stimmung. Die Stimmung des Schreibers, der nicht immer gleich der Schreibende ist, was im Bemühen um korrektes Gendern leider vollkommen ignoriert wird, sodass immer wieder fälschlicherweise die Partizipform herangezogen wird, obwohl ja auch der Student nicht immer identisch mit dem Studierenden ist – ich habe übrigens auch schon gepartizipte Substantive gelesen und gehört! unfassbar! -, ist maßgeblich für den Charakter des Textes.

„Wer soll diesen Satz verstehen?“

Man kann ihn ja zweimal lesen. Wenn Lesen keine Arbeit ist, ist das Geschriebene schlecht. Ich mache mir ja auch die Mühe, es zu schreiben. Aber jetzt brauche ich eine Pause. Der Moment ist der falsche.

„Der Moment für was?“

Gestern Abend beispielsweise hatte ich eine, wie ich meinte, großartige Idee für einen Text. Ich saß vor einem Bildschirm, auf dem „The Osbournes“ lief, und formulierte bereits den ersten Absatz im Kopf. Und dachte, toller Text, nicht schlecht, aber leider der unpassende Moment, da ich „The Osbournes“ gucken und danach ins Bett will. Die Stimmung zu schreiben, war absolut da, aber der Moment eben nicht. Beide sind notwendige Bedingungen. Jede für sich nicht hinreichend. Kannst du folgen?

„Ja, ich bin ja du.“

Also nahm ich mir vor, die Idee morgen, also heute, zu verwirklichen.

„Was für eine Idee war das?“

Ihr Kern war, dass ich mich vor den Schreibautomaten setze, einfach losschreibe und dabei in einen inneren Monolog verfalle. Denn Schreiben ist meist ohnehin nichts anderes.

„Du hast also doch geplant!“

Unsinn. Das habe ich nicht geplant. Das war Zufall. Siehe oben. Wenn ich das verstehe, müsstest du es auch verstehen. Denn als ich heute Morgen erwachte, war mir vollkommen klar, dass ich mich eben nicht an den Schreibautomaten setzen werde, um einfach so planlos daraufloszuschreiben. Warum nicht? Weil die Stimmung dazu nicht passte. Der Moment war zwar gegeben, die Stimmung aber nicht.

„Wolltest du nicht gerade eine Pause machen?“

Ja. Und wer hätte planen können, dass ich im selben Moment plötzlich in die richtige Stimmung gerate?! Ich wurde geradezu euphorisch! Schreiben kratzt leider auch sehr auf. Hätte ich dieses also gestern Abend aufgeschrieben, hätte ich erst einmal nicht einschlafen können. Ich war allerdings zu müde, um mir das nicht Einschlafen-Können zu erlauben. Darum schrieb ich nur in Gedanken schon einmal etwas vor. Die besten Dinge wurden womöglich nur gedacht, aber letztlich nicht aufgeschrieben. Das würde so einiges erklären.

„Welche Rolle spiele ich in diesem Text?“

Die entscheidende. Denn du stellst die – richtigen – Fragen. Auf diese Weise und nur auf diese kann der Text antworten. Ein Monolog ist somit immer auch ein Dialog. Ein guter Monolog ist ein Dialog. Ein schlechter Dialog sind zwei Monologe. Viele Dialoge zweier Beteiligter sind oftmals einfach nur zwei Monologe. Und damit wieder vier Dialoge, die aber miteinander nichts zu tun haben, die sich verfehlen. Ein guter Monolog ist somit ein guter Dialog, deren beider Monologe korrespondieren.

„Du wirst lachen, aber ich verstehe das tatsächlich!“

Ja, es kommt ja auch von dir. Weil wir im Dialog stehen. Im richtigen Moment in der richtigen Stimmung.

Dieser Text ist Teil der Vollständigen Edition. Weitere Texte von Seppo auf www.seppo.blog.