Wir können davon ausgehen, dass er einen Namen trägt. Weil im Grunde jeder einen Namen trägt. Und auch wenn wir gerne jedem zugestehen, dass jedermann der eigene Name wichtig sein sollte, sollten wir diesem Mann die Unwichtigkeit seines Namen zugestehen. Er selbst nennt sich nur der Mann an der Versenkung.
Menschen versinken beispielsweise in der Versenkung irgendeiner Öffentlichkeit oder – in der einer: Theaterbühne. Diese Art der Versenkung nennt man auch Hubpodium oder ganz einfach Bühnenlift. Und an einem solchen sitzt der Mann an der Versenkung.
„Ich bin derjenige, der unten den Hebel zieht. Unter den Brettern. Ganz nah am Geschehen und doch weit davon entfernt. Ich bin gar nicht da. Im gesamten Auditorium, voll mit Menschen, denkt nicht einer an meine Existenz unter den Brettern. Was unter den Brettern ist, ist nicht Teil der Welt.“
Wann immer ein Bühnenstück es vorsieht, dass einer seiner Darsteller im Boden versinkt:
„Ziehe ich den Hebel. Unter den Brettern.“
Der Mime fährt dann mit der Senkbühne nach unten.
„Und dann steht er neben mir. Hat entweder Pause – oder Feierabend. Je nach Rolle eben.“
Manche fahren auch nach oben.
„Der Teufel. Mephisto in Faust. Der fährt oft nach oben.“
Den Teufel habe er daher schon mehrfach getroffen.
„Hinterhältig ist der. Aber durchschaubar. Ich finde, man erkennt ihn sofort. Er ist der charmante Zerstörer, der spöttische Analytiker, der kluge Verführer. Ironiker. Skeptiker. Kritiker. Intelligent und rhetorisch und dabei kalt und amoralisch. Natürlich erkennt man ihn sofort. Er will erkannt werden, der Geist, der stets verneint.“
Das erste Zusammentreffen mit dem Teufel ist dem Mann an der Versenkung in deutlicher Erinnerung geblieben.
„Noch bevor ich gewusst hatte, für wen ich den Hebel an jenem Abend ziehen sollte, spürte ich, dass etwas anders war. Wie jeden Abend tröpfelte ich mehr als Ritual als aus Notwendigkeit ein, zwei Tropfen Öl in den Antriebszug des Hebels. Ich fühle mich besser, wenn ich das tue. Es gehört dazu. Es gehört zu meinen Aufgaben unter den Brettern. Ich zog wie gewohnt an dem Hebel, damit das Öl sich verteilt. Doch wo der sonst immer geschmeidig seine Arbeit tat, verklemmte er sich jenes Mal.“
Der Mann an der Versenkung stutzte. Wischte sich seine Hände an seiner zerschlissenen Hose ab und versuchte es ein weiteres Mal. Mit einem lauten Knacken löste sich der Hebel und die Versenkung setzte sich in Gang.
„Das mag belanglos klingen, aber es war ungewöhnlich. Die Vorstellung begann. Zur zweiten halben Stunde war es an mir, den Hebel zu ziehen. Es ist nicht so, als wäre man noch aufgeregt. Man zieht einfach den Hebel. Und dann kommt jemand herunter. Über mir das Klock-klock der Schauspieler. Wie immer. Und dann ziehe ich. Dieses Mal war alles anders: Es wird alles still. Und dunkel und hell. Gleichzeitig.“
Die Versenkung fährt nach unten. Und mit ihr: der Teufel. Der Teufel, der in Faust nie hinabfährt.
„Großer Gott! rief ich. Der Teufel fährt doch nicht hinab! Nicht der Mephisto!“
„Gewiss“, sagt die Gestalt auf der Versenkung, „Mephisto nicht. Mephisto wandelt frei auf Erden. Der wahre Teufel aber stürzt in die Hölle herab.“
„Wenn du der Teufel bist, was bin dann ich?“
„Du bist der, der mich wieder nach oben fahren wird.“
„Warum sollte ich das tun? Es ist besser, du bist hier unten.“
„Für dich wird es besser sein, wenn ich oben bin.“
„Du schlägst mir nun einen Handel vor, habe ich recht?“
„Ich wusste sofort, dass du ein Mann des Verstandes bist. Das glauben sie dir nicht, richtig? Die anderen. Sie glauben nicht, dass du ein gescheiter bist, ist es nicht so? Für sie bist du nur der Mann unter den Brettern, den niemand sieht. Vielleicht bist du für sie nicht einmal das.“
„Ich gehöre zu denen, die man erst dann wahrnimmt, wenn sie nicht mehr sind.“
„Keiner mehr da, der dann den Hebel zieht, ist es so?“
„So ist es“, sagt der Mann an der Versenkung.
„Ich komme nicht zu jedem“, sagt der Teufel.
Das weiß der Mann an der Versenkung. Er glaubt sogar, der Teufel rieche und kenne seine Opfer sehr genau. Und nun steht er vor ihm. Er ist bereits sein Opfer. Ist es sogar gleichgültig, wie er handeln wird?
„Was wirst du für mich tun“, fragt er den Teufel, „wenn ich dich hinauffahre?“
„Du bist ein Mann des Hebels. Und ich mache dich zum Mann über mehr als nur diesen einen Hebel. Du sollst Hebel ziehen, die wirklich etwas bewirken. Die Großes bewirken! Endlich sollst du die Macht über die erhalten, die dich nicht einmal verspotten! ÜBER DIE MENSCHEN, DENEN DU SELBST ZUM SPOTT ZU GERING BIST!“
Der Teufel, am Ende besiegt, ist hinab in die Hölle gefahren. Es ist nun am Mann unter den Brettern, ihn wieder zurück auf Erden zu schicken. Er wägt ab. Er sieht die Verlockung, er schmeckt das süße Gift – und doch zögert er. Ist sein einziger Hebel, den er Abend für Abend zieht, wirklich so belanglos?
„So belanglos, wenn du, der Teufel!, mich bittet, ihn ein zweites Mal für ihn zu ziehen? Sitze ich gerade nicht an dem mächtigsten Hebel, den ein Mensch sich denken kann?“
Der Teufel bangt um die Seele, die er sich holen will. „Sind sie also gekommen, die Engel, um sie mir zu entreißen?!“, spottet er.
„Oder ist es der Witz, der dich, den Teufel, überführt hat?“
„Hat er das schon? Willst du wirklich gemeinsam mit mir in dieser Hölle schmoren?“
„Aber das tue ich doch schon lange“, lacht der Mann an der Versenkung, „Und doch hast du in einer Sache recht: Ich ziehe noch einmal an dem Hebel, ein letztes Mal.“
Er stößt den Teufel von der Versenkung, zieht am Hebel – und fährt hinauf aus der Hölle.
Eine Frau sieht ihn und sagt: „Oh, ein Pudel.“

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