„Warum nur meine Tochter?! Es ist unsere Tochter!“, beklagt meine Frau die Überschrift. Ich habe also im Grunde noch nicht einmal angefangen, da beklagt sie sich! Ich meine, gerade die Überschriften ändern sich im Laufe einer Textgenese doch ohnehin noch mehrfach!
„Wir wissen ja nicht, ob du wirklich ihre Mutter bist!“, erkläre ich geduldig.
„Bitte was?! Waren wir nicht beide im Kreißsaal in jener Nacht?!“
„Das ist kein Beweis, das ist lediglich ein Indiz. Denn ja, du warst da, aber es waren noch unzählige andere Frauen da. Die Hebammen zum Beispiel.“
Meine Frau: „Ja, aber entschuldige mal, du hast doch gesehen, um Punkt zwei Uhr 22, was da … also im Wortsinne, was ich da rausgepresst …“
„Ich kann dir mit Sicherheit sagen, dass alles, was ich ab zwei Uhr einundzwanzig gesehen habe, mich so dermaßen traumatisiert hat, dass ich für nichts, was ich danach glaube gesehen zu haben, meine Hand ins Feuer legen würde.“
„Und dass ich mehr als neun Monate lang vorher schwanger war?!“
„Naja, also zunächst mal warst du einfach nur etwas … rundlicher. Ich bin kein Arzt, kann also wohl kaum beurteilen, ob du wirklich schwanger warst.“
„Mit wie vielen Frauen hast du denn damals geschlafen?“
„Nun, das sind so Fragen, über die schweigt man sich besser aus, sie sind nur geeignet, den Haussegen ins Wanken zu bringen. Und ich würde nun den Text gerne weiterschreiben. Wenn du mir so einen Hipp-Brei aufwärmen könntest?“
Ich würde Sie, verehrten Leser, gerne mitnehmen auf eine kleine Reise durch meine Wohnung.
„Unsere Wohnung!“
„Entschuldige, ich muss mich noch daran gewöhnen, nicht mehr alleine zu wohnen.“
„Wir wohnen seit 14 Jahren zusammen.“
„Ich habe eben Probleme, mich schnell auf neue Situationen einzulassen. Gib mir die Cait, bitte.“
Also, wie gesagt, ich nehme Sie mit auf eine Tour. Besser gesagt, mei- , unsere Tochter nimmt uns mit. Und zur Einstimmung ein Lied, auf das ich kürzlich stieß, das mich nicht mehr loslässt. Lesen Sie gerne weiter, während der Song läuft.
Meine Tochter, um die sich neben allem auch oft meine Frau kreist, startet ihre Tour meist im Wohnzimmer. Sie ist gerade knapp zehn Monate alt und schlecht zu Fuß. Aber sie hat die krabbelnde Bewegung für sich entdeckt und man macht sich ja vorher keine Vorstellungen darüber, in welch atemberaubendem Tempo sie sich krabbelnd fortbewegen. Bremsen kennen sie nicht. Höchstens werden sie gebremst. Das können Schränke sein, Stühle, Blumenkübel oder was auch immer so rumsteht in der Welt der Erwachsenen. Die wiederum erkennen schon sehr bald ihre Einrichtungsgegenstände nur anhand des Geräusches, das sie beim Zusammenprall mit dem Nachwuchs, oder wenn sie herunterfallen, von sich geben. Bei uns hält sich das sehr in Grenzen, da meine, nein, unsere Tochter früh das Wort „Nein“ in seiner vollen Bedeutung verstanden hat. Sobald wir „nein“ sagen, hält sie inne. Die zwei Laternen auf dem Boden in unserem Flur umschifft sie inzwischen gekonnt und respektvoll. Auch die große Palme in der Diele lässt sie inzwischen kalt: Weder isst sie ihre Blätter noch die Blumenerde. Nicht schlecht, oder? Besser so, denn die Palme ist hochgiftig. Wir wissen das wegen des kleinen Sohnes unserer Nachbarn, auf den wir einen Nachmittag lang aufgepasst hatten und der danach lange Zeit im Krankenhaus lag. War eine komplizierte Entgiftung und viel haben wir mit den Nachbarn auch nicht mehr zu tun. Sie sind sehr nachtragend. Aber: Meine Palme hat’s überstanden.
„Unsere Palme!“
„Naja, also das ist ja schon irgendwo meine Palme.“
Wie dem auch ist, wir starten nun unsere Wohnungstour mit meiner kleinen Tochter, die von der Couch aus gestartet ist. Ich bin bei 586 Wörtern und wir haben uns noch keinen Meter bewegt …
Erstes Ziel ist immer der Wohnzimmertisch. Der hat die Größe von Putins Tisch und ist damit größer als das Wohnzimmer. Das klingt zunächst einmal etwas unpraktisch, aber wenn man sich erst einmal daran gewöhnt hat und den Tisch zu nehmen weiß, ist das gar kein Problem mehr. Man hält sich dann überwiegend eher unter dem Tisch auf.
Augenblick, meine Frau kommt rein.
„Ich habe das Geheimfach gefunden!“, ruft sie.
„Welches Geheimfach?!“
„Von deiner Lehrertasche! Du sagtest ja zu mir in einem deiner vergangenen Texte, nämlich hier, dass deine Lehrertasche ein nicht zu findendes Geheimfach habe!“
„Aktentasche. AKTENTASCHE!!!! Es ist keine Lehrertasche. Und vermeide es bitte, Verlinkungen in deine wörtliche Rede einzubauen. Das ist doch vollkommen unrealistisch. Klickt eh niemand! Und wo ist nun dieses Geheimfach?“
„Hier. Rechts unten, wenn du hier …“, sie nestelt an der Tasche herum, bis ich merke:
„Das ist nicht meine Tasche! Wo kommt diese Tasche her?!“
„Die stand im Flur. Mit dieser Tasche bist du heute Nachmittag nach Hause gekommen.“
„Grundgütiger. Ich habe die falsche Tasche mitgenommen.“
„Sollte ich nachsehen, ob das richtige Kind im Wohnzimmer ist?!“
„Wessen Tasche habe ich da gestohlen?!“
„Es haben noch mehr bei euch diese merkwürdigen Taschen?!“
„Großer Gott, es ist die Tasche vom Geschäftsführer. Das muss passiert sein, als er mir meine Abmahnung überreicht hat. Wie unangenehm.“
„Du hast eine Abmahnung bekommen?“
„Die Juli-Abmahnung, ja.“
Zurück zu unserer eigentlichen Geschichte. Das mit der Tasche kläre ich später.
„Ja, du solltest mal zu der Wohnungstour kommen. Du kommst nie zum Punkt. Deine Überschriften versprechen immer etwas, das nie gehalten wird, weil du nach spätestens zwei Sätzen eine ganze andere Geschichte beginnst.“
„Weil du mir ja auch immer dazwischenquatschst!“
„Na, ob das richtig konjugiert ist?“
„Ist es, ich habe extra nachgesehen. Und siehst du, schon wieder! Es ist allein deine Schuld, jetzt kommst du mir mit Konjugieren.“
„Du musst es ja nicht mitschreiben.“
Stimmt, ignorieren wir sie für einen Moment. Bevor meine Tochter das Abi gemacht hat und wir nicht mehr mit ihr krabbelnd auf Wohnungstour gehen können. Denn das tue ich gerne mit ihr. Mitkrabbeln. Und so geht es, wie vor Stunden erwähnt, zum Wohnzimmertisch.
„Da zum Beispiel hättest du ja nicht erwähnen zu brauchen, dass er so groß ist wie der von den Putins. Außerdem denkt dann jeder, du meinst den russischen Präsidenten.“
Stimmt, guter Punkt. Das kläre ich fix auf. Ich meinte eben nicht diesen Verhandlungstisch von Wladimir Putin. Riesen Missverständnis. Putin heißen auch unsere Nachbarn von schräg gegenüber. Spätestens seit Putins Angriffskrieg hat unser Herr Putin eine Menge Ärger. Kürzlich tauchte ein CIA-Agent bei uns in der Südstadt auf und schoss auf Herrn Putin. Der hatte ein riesen Glück, weil im Moment der Schussabgabe der Bunte durchs Visier lief und die Kugel mit seinem Kopf abfing.
„Mehr über den Bunten lesen Sie hier.„
„Jetzt lass bitte meine Leser in Ruhe!“
„Ich will dir nur beim Etablieren deines neuen Figurenuniversums helfen!“
Zurück zur Wohnungstour. Wie weit sind wir gekommen? Bis zum Wohnzimmertisch. Das sind etwa 30 Zentimeter. Wir müssen hier Rast machen. Ich nehme mir vor, die Tour fortzusetzen. Wir machen das an einem Tag, wenn meine Frau mal nicht zugegen ist. Dann haben wir mehr Zeit für uns. Sie und ich.
Wo ist eigentlich mein Hipp-Brei?!

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