Wir leben nun seit vier Jahren im Münsteraner Südviertel, das meine Frau anfangs fälschlicherweise Südstadt nannte, wofür ich sie zu tadeln nicht müde werde. Unsere Tochter wird somit kein Stadtkind, sondern ein Viertelkind, halb meine Frau, halb ich. Zweimal halb ergibt ein Viertel.

Hier im Südviertel wimmelt es von Großmüttern. Tatsächlich ist das Münster-Südviertel bekannt für seine Großmutterdichte. Demographen aus der ganzen Welt sind regelmäßig vor Ort, um dieses Phänomen zu ergründen. Bis heute ist es keinem von ihnen gelungen. Und das spricht nicht für ihre Zunft, ich möchte sogar behaupten, dass sie allesamt Versager sind. Die Demographie liegt, das ist nicht nur meine Meinung, sondern auch die großer Meinungsforscher, praktisch am Boden, während die Meinungsforschung die Deutungshoheit über das Gemeinte hat. An ihr sollte sich die darbende Demographieforschung ein Beispiel nehmen.

Aber ich merke, ich habe Schwierigkeiten, zum Punkt zu kommen. Noch liegt vollkommen im Trüben, was der Titel dieser wahren Geschichte mit ihr, der wahren Geschichte, zu tun haben könnte. Also zurück zu den Großmüttern in der Südstadt. Uns gegenüber lebt in einem von Mietern besetzten Haus im dritten Stock: Großmutter. Wir sehen sie immer dann, wenn sie aus dem Fenster lehnt und sich einen Überblick über das bunte Treiben hier in der Südstadt verschafft. Ich schätze sie als alt ein und nicht sehr wohlhabend. Ich teile ihr eine geringe Witwenrente zu. Ich tue das, weil ich von Oberflächlichkeiten ausgehe und gerne in Schubkarren denke. Laden. Schubladen. Bin Shúb-Laden, der Cousin von Bin Laden. Man kennt ihn kaum. Er ist Friedensaktivist. Ganz anders als sein Cousin, der unangenehm aufgefallen ist. Aber das ist eine andere Geschichte.

Jedenfalls ist das Grußmutter Nummer eins, die wir hier so kennen. Ich vermute, dass es die Ober-Großmutter eines Großmutterclans ist. Beweisen kann ich das nicht, aber wer braucht heute schon Beweise?! Neben der Oberst-Großmutter gibt es hier noch an der Hammer Straße …

Die Hammer Straße in Münster wurde laut Unfallstatistik für das Jahr 2023 als eine der gefährlichsten Straßen Deutschlands und sogar als die zweitgefährlichste Straße in Nordrhein-Westfalen eingestuft, mit insgesamt 59 Unfällen, davon vier mit Personenschaden. (Quelle: die Oberst-Großmutter)

Gibt es also hier noch an der Hammer Straße, der wir unweit wohnen, noch Großmutter Annegret der über die Landesgrenzen hinaus unbekannten Bäckerei Mönning oder Mönnig (Ich kann es mir einfach nie merken …). Großmutter Annegret hat jene Konditorei 1898, damals noch ungeboren, mit ihrer eigenen Großmutter Katharina (geb. Gerstenkorn, nein, Gersterkamp) gegründet. Das können Sie alles hier nachlesen, damit es nicht nachher oder jetzt schon heißt, ich dünkte mir das alles nur aus. Heute noch steht Großmutter Annegret höchstpersönlich am Tresen und verkauft hochkalorige Teigwaren. Leider finden meine Frau die Landbäckerei Elshoff oder Elsholz (Ich kann mir auch das einfach nicht merken …) besser, obwohl die Landbäckerei mitten in der Stadt an einer vielbefahrenen Straße liegt. Wir sind also selten bei Mönning oder Mönnig, sehen aber gerne dort durchs Fenster, wenn wir wieder einmal auf der gefährlichsten Straße der Welt, Hammer Straße, siehe oben, verunfallen. Nur um zu sehen, ob Großmutter Annegret wieder oder noch am Tresen steht. Wenn ich ehrlich bin, gucke ich eher, um zu sehen, ob sie tatsächlich immer noch lebt. Das ist gemein, aber menschlich. Ich glaube, dass viele dort ihre Brötchen nur kaufen, um zu sehen, ob sie wirklich noch lebt oder von ihren Kindern ausgestopft an Bindfäden als Marionette wegen ihres Marketingwertes gesteuert wird. Ich halte das für nicht unwahrscheinlich und werde beim nächsten Mal auf etwaige Bindfäden achten.

Kommen wir zur dritten Großmutter. Sie ist für diesen Text titelgebend. Und ich nehme direkt vorweg: Sie ist ganz offensichtlich ein ganz hohes Tier bei der Münsteraner Mafia. Wir kennen ihren Namen wegen des Unfalls mit der anschließenden Korrespondenz mit ihrer Versicherung (Allianz). Ich verschweige hier ihren Namen allerdings, um mich und meine Familie in dieser Reihenfolge keiner Gefahr auszusetzen. Denn wer legt sich schon freiwillig mit der Münster-Mafia an?

Exkurs: Einer tut das. Münsters Oberstadtsanwalt Ordophob Ohßem ist seit mehr als drei Jahrzehnten hinter den großen Köpfen der Münster-Mafia her. Unter dem großen Opfer der permanenten Lebensgefahr. Nur aufwendig verkleidet kann Ordophob Ohßem sich in der Öffentlichkeit bewegen. Man erkennt ihn regelrecht an seiner Verkleidung. Unvergessen übrigens, als 1997 der Zirkus Roncalli in der Stadt war. In einer besonders tiefen Nacht haben bis heute Unbekannte die komplette Clownsfamilie aufgrund der Kostümierung, unter der ja Ordophob Ohßem hätte stecken können, des berühmten Zirkus-Theaters ausgelöscht: zunächst mit Säure erschossen und dann mit taktischen Atomwaffen zerstückelt. Ein typisches Vorgehen der Münster-Mafia, das sie fast schon sympathisch macht. Denn: Niemand mag Clowns. Nicht einmal die Affen, die inzwischen einen eigenen Zirkus gegründet haben, in dem Elefanten auf Menschen reiten.

Wir wechseln nun ein wenig den Stil dieses Textes und hauchen ihm Leben ein, da der Autor etwas unter Zeitdruck steht.

Ich sitze am Fenster und betätige die Glocke. Die daraufhin lautmalerisch: dongelong. Die Glocke hatte ich bei Amazon bestellt. Kaufkriterium war damals für mich der möglichst lautmalerische Laut. Die Kundenrezensionen hoben genau diese ihr so eigene Lautmalerei hervor. Und nun stelle man sich einen tauben Maler vor, der – weil es ihn selbst ja nicht stört – besonders laut malt, bis seine Nachbarn es nicht mehr ertragen können oder wollen und die Borsten seiner Pinsel abschneiden, was er ja nicht sehen kann, da er, wie gesagt, taubbblind ist.

Dem Dongelong folgt meine Frau, die reingestürmt kommt: „Was brauchst du?“, fragt sie.

„Das Fernglas. Ich habe das Fernglas vergessen. Wo liegt es?“

„Im Fernglaszimmer, ich hole es.“

Bitte haben Sie nun nicht den Eindruck, meine Frau bediente mich nach Strich und Faden, nur weil ich sie mittels einer Glocke zu mir zitiere. Ich kann nur nicht weg. Verstehen Sie? ICH KANN DA NICHT WEG! Ich muss am Fenster sitzen und die Straße im Blick behalten. Die Straße übrigens ist eine „unechte Einbahnstraße“. Einbahnstraßen sind dann unecht, wenn sie nicht als Einbahnstraße deklariert sind, sie aber von einem Ende nicht einfahrbar sind, woraus sich ergibt, dass die sie befahrenden Autos stets nur von einer Seite aus in nur eine Richtung befahren. Tatsächlich aber ist das Befahren in beide Richtungen erlaubt. Es kommt nur so gut wie nie vor. Googlen Sie mal, ist nicht uninteressant. Wenn ich also mit meinem Auto meine Einfahrt auf diese Straße verlasse, darf ich gegen die gefühlte Fahrtrichtung fahren. Ach, Sie googlen es ja doch nicht. Hier direkt ein Link mit Infos. Sie lassen sich auch wirklich alles hinten reinschieben.

Meine Frau kommt zurück und reicht mir das Fernglas aus dem Fernglaszimmer. Das Fernglaszimmer hielten wir anfangs für das Bernsteinzimmer. Riesen Missverständnis, aber es ist Gras über die Sache gewachsen. Wir haben nun eben ein Zimmer mit einer Fernglasausstattung, die schon absurd weitsichtig ist, denn wenn wir bedenken, dass sich das Universum immer weiter ausdehnt, folgt doch daraus, dass der Abstand zwischen den Dingen immer größer wird, sodass wir bald ohne Fernglas ziemlich alt aussehen. Passiert meiner Frau und mir nicht.

Also, ich kürze mal ab, da ich noch Sport machen wollte. Ich sitze am Fenster, jeden Tag. Weil ich ein Auge auf die Umgebung haben muss. Einer muss sich ja kümmern. Grund ist das Treiben der Mafia-Großmutter, die es auf unser Auto abgesehen hat. Seit vier Jahren versucht sie, es zu zerstören. Warum? Dazu habe ich eine Theorie: Meine Frau und ich zahlen kein Parkschutzgeld an die Münster-Mafia. Nicht, weil wir bebsonders mutig wären, nein, es hat uns einfach noch nie jemand dazu aufgefordert. Und weil wir somit zahlungssäumig sind, rammt sie unser Auto. Christi Himmelfahrt dieses Jahres war es dann so weit. Sie hatte es geschafft. Weil wir zu faul waren, in unserer Garage zu parken. Sie erwischte unser Auto hinten links. Knapp 3.000 Euro Schaden. Wir haben es inzwischen wieder instandgesetzt. Neue Stoßstange. Erkennt man daran, dass der Farbton des Lackes ein leicht anderer ist als der des Restlacks. Wir fahren nun eines dieser Autos, denen man ansieht, das einige Teile neuer als die anderen sind. Und wie bei Menschen gilt: Sie sehen dadurch nicht jünger aus. Eine neue Nase oder neue Haare machen nicht jünger. Man sieht dann aus wie aus einem Bausatz mit Ersatzteilen aus unterschiedlichen Produktionslinien. Vielleicht ist es die Stoßstange eines Golfs der Sonderedition „Bon Jovi“? Erinnern Sie sich noch an diese Sonderedition? Klassiker. Wir hatten hier mal einen Nachbarn in der Südstadt, der fuhr so einen. Bis Mafia-Großmutter hinter ihm eingeparkt hatte. Wann immer ich ihr Auto sehe, werde ich nervös. Ungelogen habe ich vergangene Woche beobachten können, wie sie beim Ausparken das hinter ihr stehende Auto rammte. Sie stieg aus, tänzelte um ihr Auto und begutachtete den Schaden. Ich meine, ein diaboldämonisches Grinsen in ihrem Gesicht gesehen zu haben. Und weil wir immer mal wieder zu faulfeige sind, unser Auto in die Garage zu fahren (Sowohl meine Frau als auch ich haben beide schon einmal dabei den linken Außenspiegel abgefahren, da unsere Garage zwar dekadent breit ist, die Toreinfahrt aber lächerlich schmal.), stehen wir gerne mal vor unserer Einfahrt, wodurch uns hier immer ein Parkplatz garantiert ist. Der Preis ist allerdings, dass ich permanent ein Auge auf unser Auto haben muss, denn die Mafia-Großmutter wohnt nicht nur nebenan, sondern bewegt für ihre fast 90 Jahre ihr Auto – vermutlich wegen der Mafia-Geschäfte – mehrfach am Tag. Arbeitsforscher gehen davon aus, dass die Strukten der Mafia zu starr sind, um sich auf Homeoffice einzulassen.

Gerade noch mal den Dreh gekriegt, finde ich. Ich sitze nämlich auf heißen Kohlen und hatte Schwierigkeiten, zum Punkt zu kommen.

Dongelong!

Meine Frau klingelt. Sie hat heute Nachbarschaftswachdienst.

Hinweis: Das Beitragsbild habe ich nicht mit KI von Adobe generiert. Es zeigt die Mafia-Großmutter, nachdem diese die hiesige Südtstadt-Fleischerei um die monatliche Parkschutzgebühr erleichtert hat.

Dieser Text ist Teil der Vollständigen Edition. Weitere Texte von Seppo auf www.seppo.blog.