Neulich ereignete sich beim Aufriemen meines Rucksackes Ungeheuerliches.

Augenblick, mich blendet der Monitor, ich muss irgendwie in diesen dunklen Modus wechseln, so kann ich nicht schreiben. … Nein, der Dunkelmodus ist es nicht, der WordPress-Editor zeigt sich davon unbeeindruckt und verharrt schwarz auf weiß. Moment … unangenehm. Gerade jetzt, wo ich doch neu durchstarte. … Nun kommt meine Frau herein. Mit hilfreichen Tipps natürlich. Als ob sie jetzt wüsste, wie man … Nachtmodus, sagt sie. Am Rechner?! Als ob. Systemeinstellungen. Ja, klar. Wenn, dann da. Weiß ich. Ich solle „Barrierefreiheit“ auswählen. Entschuldigung, Barrierefreiheit?! Es wäre das erste Mal, das ich auf … ich meine, als ob ich schon so alt wäre. Was denkt sie sich nur?! Das häuft sich, dieses dezente Hinweisen auf mein Alter bei ihr. Nachtmodus. Jetzt hab ich ihn. Okay, Blaufilter, verstehe. Ja, gut, blendet jetzt weniger. Weniger blau. Es blendet nun mehr ins Gelbliche. Haben Sie nichts frisches? So ein frisches Mausgrau? … War mir klar. Der Nachtmodus. Was bildet sie sich ein?! Mir den Hinweis geben zu können … Ja, aber es blendet nicht mehr. Woher weiß sie sowas? Ist es gar die beste Ehefrau von allen? Wir können also mit der eigentlichen Erzählung fortfahren.

Also als ich vor geringer Cait meinen Rucksack aufriemen wollte …

Ich muss es kurz loswerden: Bevor ich mich hier gerade ans Schreiben machen konnte, musste … nein … hatte ich das außerordentliche Vergnügen, die Tochter der besten Ehefrau von allen in den Schlaf zu bugsieren. Da sie auch meine Tochter ist – wir teilen sie uns gewissermaßen -, mache ich das natürlich gerne. Nur: sie nicht. Meine Tochter nicht. Sie wehrt sich gerne gegen den Schlaf. Auf so eine Idee muss man erst einmal kommen. Für mich ist Schlaf praktisch die angenehmste Tätigkeit, die ich mir vorstellen kann. Nie käme mir auch nur der Gedanke, mich aktiv trotz aller Müdigkeit mit tränen-, rotz- und sabberreichen Schreien dagegen zu wehren! Wie dem auch sei, nach 45 Minuten ist sie aufgrund meiner ungemein beruhigenden und Geborgenheit spendenden Art eingeschlafen. Oder aus Erschöpfung. Wir werden es nie herausfinden. Übrigens steht und fällt die Vollendung dieses Textes mit dem Durchschlafhaltevermögen meiner Tochter, die ich parallel via Videocall überwache. Ich höre Stille, die aber sehr laut, nur gelegentlich durch seltsame Rotzgeräusche unterbrochen. Leider habe ich das Kind nicht kameragerecht platziert. Das Kamerabild zeigt mir das Bettchen, von ihm, dem Kinde, allerdings keine Spur, da im toten Winkel. Ich muss mich also auf das Hörbare verlassen. Jetzt habe ich aber Sorge, dass es mit Gesicht nach unten liegt. Ich gehe schnell mal rein, nachschauen.

Wieder zurück. Riskantes Manöver. Bei geöffneten Türen kann das Babyvideoüberwachungsgerät in eine furchtbar laute Rückkopplung geraten, die das ganze Haus aufzuwecken vermag. Außerdem wandeln wir auf einem antiken Holzboden, der stellenweise massiv knatscht. Das hat sicherlich Charme, ist aber in solchen Situationen eher schamlos. Aber ich kenne die Stellen, auf die ich nicht treten sollte. Meist. Nun, jetzt aber zurück zur eigentlichen Geschichte.

In meinem Rucksack, den ich stets mit zur Arbeit nehme – nicht aus Selbbstzweck, sondern als notwendiges Gepäckstück -, befindet sich immer ein Laptop, eine Thermoskanne heißen Kaffees und eine Edelstahldose mit meinem Mittagessen, das ich immer um Punkt halb sieben morgens im Büro einnehme. Ich starte im Grunde immer mit dem Mittagessen in den Arbeitstag.

Augenblick. Mich hat das Kind-zu-Bett-Bringen sehr durstig gemacht. Die ganze Zeit umkreisen meine Gedanken: Fanta Mandarine ohne Zuckerzusatz. Weil meine Frau und ich derzeit einen Wasservorrat für schlechte Caiten aufbauen, bestellen wir bei Flaschenpost neben den Kisten Falschenmineralwasser (Wir rechnen pro Tag mit drei Litern pro Person, was eine großzügige Annahme ist, da wir während des Weltuntergangs zumindest nicht verschmutzt verdursten wollen.) immer noch andere Getränke, die wir eigentlich verteufeln. Manche schmecken aber in Kombination mit Rum nicht schlecht. Jetzt aber steht mir der Sinn nicht nach Rum, sondern nach Fanta Mandarine ohne Zuckerzusatz, was im Übrigen nicht bedeutet, dass Fanta Mandarine ohne Zuckerzusatz zuckerfrei wäre. Es ist Zucker drin. Der wurde aber nicht zugesetzt, der war schon da. Das erklären sie auf dem Etikett ausführlich. Darum gibt es auch keine Fanta Mandarine Zero. Weil der Zucker schon da ist. Naja, es ist kompliziert und so oder so hochgiftig. Daher legen wir uns für den Katastrophenfall ja auch nur einen Wasservorrat zu und keinen Fanta-Mandarine-ohne-Zuckerzusatz-Vorrat. Das wäre dekadent. Noch in der Katastrophe dekadent. Ich stelle mir eh immer vor, wie unsere Nachbarn spitzkriegen, dass wir in unserem Keller ausharren mit Wasser im Überfluss, während sie nicht vorgesorgt haben. Dann stehen sie da mit langen Gesichtern und sehen meiner Frau und mir dabei zu, wie wir uns mit Mineralwasser waschen und ausgelassen planschen. Dann auch noch mit Fanta Mandarine ohne Zuckerzusatz anzugeben, wäre wirklich unverschämt. Jetzt hole ich mir ein Glas. Es ist so dermaßen süß, dass ich es eins zu eins mit Mineralwasser verdünne. Augenblick.

Da bin ich wieder. Ich habe bei der Gelegenheit die Wäsche aus dem Keller mitgebracht. Die gewaschene. Dabei fiel mir gerade auf, dass ich versehentlich einen Schuh mitgewaschen habe. 60 Grad. Der Schuh, linker, sieht tadellos aus. Ist jetzt nur deutlich erblasst. Jetzt also ein Herbstschuh. Ich werde den rechten wohl auch durchwaschen müssen. So, schnell noch einen Schluck des erfrischenden Mandarinen-Getränks, das ich als Kind schon so liebte, aber selten bekam. Aus guten Gründen. Wegen des Zuckers, der damals schon da war.

Mit meinem mondänen Arbeitsrucksack, denn mehr ist er nicht, aber auch nicht weniger, stehe ich auf Kriegsfuß. Ich habe schon als Jugendlicher das Tragen eines Rucksackes, der damals auf der weiterführenden Schule den Tornister oder auch Tonton abgelöst hatte, abgelehnt. Eastpak vermutlich. Was heißt eigentlich Eastpak? Das wird doch nicht für Ostpack stehen?! So eine mies gelaunte Nach-Wende-Marke aus Westdeutschland … Aber warum ich Rucksäcke da schon ablehnte? Ich weiß es nicht. Es ist ja durchaus eine sinnvolle Art, Last zu tragen. Aber Aufgeriemtes beengt mich. Unabhängig vom Gewicht des Inhalts. Allein deswegen habe ich den Dienst an der Waffe damals verweigern müssen. Aber nicht die Waffe war das Problem, denn ich erschieße sehr gerne, es war vielmehr der Rucksack. Im Ersatzdienst, den ich dann leistete, musste ich keinen Rucksack tragen. Manchmal gab es sogar Waffeln, was ja nahe an Waffen war.

Jedenfalls geschah an diesem Donnerstag beim Aufriemen meines Rucksackes Ungeheuerliches: Ich blieb – wie jeden verdammten Morgen und Nachmittag – mit meiner güldenen Armbanduhr am Riemen hängen. Das ist nur deswegen schlimm, weil ich jedes Mal in Sorge um die Uhr bin, die nicht ganz günstig war, sondern ein teures Geschenk. Dass sie teuer war, weiß ich, da ich nicht nur der Beschenkte war, sondern auch der Schenkende (Kurz nach Weihnachten: Schenk-Ende). Kurz: Zweimal pro Tag zerre ich beim Aufriemen meines ohnehin minimal geliebten Rucksackes am Armband meiner Armbanduhr, also am Armbanduhrenarmband. Inzwischen habe ich mir eine Ausgleichsbewegung angeeignet, die darin besteht, dass ich meinen linken Arm, den Uhrenarm, ruckartig zurückziehe, um mich aus der Riemenschlinge zu befreien. Dieser präzise Vorgang muss stets rasch erfolgen, will man nicht den Glashütte-Kundendienst behelligen müssen. Meine Frau, die samt Tochter auf und im Arm hinter mir stand, war von der raschen Ausführung meiner Bewegung ebenso überrascht wie meine ohnehin ganz grundsätzlich nichts ahnende Tochter, die ziemlich bass erstaunt war, als sie meinen Ellbogen im Gesicht hatte. Dann ging alles ganz schnell. Erstmals wurde der Familienrat einberufen, was deswegen schnell ging, da die gesamte Familie in den Vorfall verwickelt und deshalb vor Ort war.

„Das hat jetzt ein Ende mit dem Aufriemen des Rucksackes“, empörte sich meine Frau nicht ganz zu Unrecht.

„Ja, ich hab’s ja immer gesagt. Bis mal was passiert. Lange war es nur nervig, aber ich wusste, ich rieme auf, bis mal eine weint. Jetzt weint sie.“

„Sie weint doch gar nicht.“

„Aber sie sollte weinen. Immerhin habe ich seltsam spitze Ellbogen. Ist sie ohnmächtig?“

„Nein, sie schläft.“

„Würden wir den Unterschied erkennen?“

Das wusste meine Frau dann auch nicht so genau: „Wir müssten sie ansprechen. Wenn sie reagiert, schläft sie nur.“

„Aber dann wecken wir sie. Das wäre doch schade, wo sie doch gerade schläft. Also vermutlich schläft. Schlief sie denn eben schon?“

„Sie war noch gar nicht so richtig wach.“

„Ist sie vielleicht schon länger ohnmächtig?“

„Seit gestern Abend?!“

„Ja, sieh mich nicht so entgeistert an“, sagte ich, „Dich hat es offenbar zwölf Stunden nicht gekümmert, ob sie schläft oder ohnmächtig ist. Haben wir noch die Unterlagen vom Erste-Hilfe-beim-Kind-Kurs?“

„Du meinst das Handout?“

„Ich meine diesen handgroßen, praktischen Ausdruck, in dem man nervös blättern kann, wenn man sich unsicher ist, in welchem Rhythmus man wiederbelebt. Nach zwölf Stunden vielleicht ohnehin etwas optimistisch …“

Sie wurde wach. Gähnte verstört, fasste sich irritiert an die neue Beule an ihrer Stirn und sagte: „Ab.“

Das ist bislang ihr einziges Wort, wenn man so will. Mit gutem Willen kann man sagen, dass „Ab“ ihr erstes Wort ist. Wir haben etwas Sorge, dass es auch das einzige bleibt. Davon, wie sie es betont, scheint die Bedeutung abzuhängen.

Wie dem auch sei, noch am selben Tag habe ich mir eine ans-tändige Lederaktentasche gekauft. Ich bin Rucksäcke leid. Und ohne es bewusst forciert zu haben, trete ich damit in die Fußstapfen meines Vaters, der bis zum Schluss mit Lederaktentasche zur Arbeit fuhr. Ich werde ihn bei nächster Gelegenheit fragen, ob er sie noch besitzt. Tatsächlich habe ich sie genau vor Augen. Erstaunlich, was einen manches Mal so prägt.

Dieser Text ist Teil der Vollständigen Edition. Weitere Texte von Seppo auf www.seppo.blog.